An den Strukturen der Verhältnisse rütteln

In den folgenden Abschnitten werden einige widerständige Aktionen und Formen des Protestes aufgelistet. Die Auswahl ist weder umfassend noch repräsentativ. Es ist eine laufende Arbeit, auf der Suche nach dem, was es so gibt, um inspiriert zu werden und um selbst mehr Klarheit zu bekommen. Wen und was will mensch erreichen? Was sind Potentiale und Konsequenzen von verschiedenen Aktionen? Was ist im Rahmen der eigenen Ideologie oder den zur Verfügung stehenden Mitteln möglich? Welche andere Kontexte gibt es – wie ändert sich dabei die Aktion? Schlussendlich soll es uns bestärken, uns als Teil einer Welt zu wissen, in der nicht alle gleich denken und handeln – und viele den Mut haben, etwas gegen Regime und bestehende Ordnungen in die Welt zu setzen.
Die Beispiele betreffen nicht alle direkt das Migrationsregime, sondern auch den Widerstand gegen die Strukturen unserer Gesellschaft, die ein solches Regime ermöglichen. Ich bewerte die Beispiele unterschiedlich, habe aber, um der Vielfalt willen, unterschiedlich motivierte Aktionen und Menschen mit verschiedenen Handlungsspielräumen, Mitteln und Zielen aufgelistet. Die Beschreibungen sind nicht meine eigenen Interpretationen, sondern sinngemäss aus Selbstbeschreibungen sowie anderen Artikeln und Berichten übernommen. Es wird nur wenig Information geliefert, dafür gibt es zusätzliche Links. Alle können selbständig recherchieren, was sie interessiert.

 

Protest- und Aufstandswelle im Moira Camp
Am 20. Oktober 2017 startete eine Protest- und Aufstandswelle im Moira Camp in Lesbos aufgrund der untragbaren Bedingungen. Jede Woche werden 7 – 20 Personen in die Türkei ausgeschafft. Es gibt zu wenig Anwälte für die Rechtsvertretung der geflüchteten Menschen. Die Menschen stecken auf der Insel fest, die Zelte des Camps sind nicht wasserdicht und die medizinische Versorgung ungenügend. Also haben sich einige für einen Hungerstreik zusammengeschlossen und den Sappho Square in Lesbos besetzt. Der Protest dauerte 33 Tage und wurde regelmässig von Polizeigewalt gestört.  Einige Protestierende wurden ausgeschafft. Und so gehts weiter.
Briser les frontière
Briser les frontières ist der Name für ein grenzübergreifendes Netzwerk von Menschen in der Gegend der Grenze von Italien und Frankreich. Ihr Ziel ist es, die Grenzen aufzubrechen und einen Kampf gegen profitorientierte, naturverwüstende und Menschenleben ignorierende Interessen zu führen. Es wurden bereits illegalisierte Menschen tot oder mit erfrorenen Gliedmassen in der Gegend gefunden. Briser les frontières veranstalten Protestmärsche entlang der Grenze und leisten Nothilfe.
Hungerstreik auf dem Syntagma Square, Athen
Vom 1. – 14. November 2017 gab es einen Hungerstreik auf dem Syntagma Square in Athen. Sieben Frauen und Sieben Männer fasteten, um auf die Verzögerung in der Familienzusammenführung aufmerksam zu machen. Sie sitzen länger als 6 Monate auseinandergerissen fest, wogegen sie mit dem Hungerstreik ein Zeichen setzen wollten. Es wurde eine Pressekonferenz organisiert. Einige der Protestierenden wurden in das Spital eingeliefert. Nach 15 Tagen endete der Streik wie geplant. Es ist nicht bekannt, ob der Streik einen Effekt auf das Anliegen der Hungernden hatte.
http://hungerstrike.commonstruggle.eu/
Festivals gegen Militarisierung in der Türkei
Militourism festivals organisiert Festivals gegen Militarisierung in der Türkei seit 2004. Dabei werden Tourismus, Spektakel und Anti-Politik ironisch nebeneinandergestellt. Zudem werden Orte und deren Geschichtsschreibung bei Touren, Protesten und Ausstellungen besucht.
Clandestine Insurgent Rebel Clown Army
Clandestine Insurgent Rebel Clown Army ist eine Gruppe, die sich an Demonstrationen mit armeeartigen Clownanzügen verkleidet, um sich über Autoritäten lustig zu machen. Ebenso gibt es die Praxis, sich in Pink und Silber als Cheerleader zu verkleiden. Beide Taktiken versuchen Verwirrung zu stiften und feste Kategorien so wie kulturelle Codes über den Haufen zu werfen (weiblich-männlich, gewaltlos-gewalttätig, usw.).
Kommunikationsguerilla und culture jamming
Kommunikationsguerilla und culture jamming sind beides Strategien, um mittels Sprache Verwirrung zu stiften und Festgefahrenes zu hinterfragen/zerstören. Adbusting ist eine Form der Kommunikationsguerilla. Dabei werden Logos oder Werbungen leicht verändert. Ein einfaches Beispiel ist das Übermalen des “S“ von Shell. Das Logo ist nach wie vor erkennbar, doch es heisst nun hell (Hölle) und nicht mehr Shell, was auf die Geschäftspraxis des Grosskonzerns hinweist.
https://www.metronaut.de/2012/05/medienhacking-im-wandel-kommunikationsguerilla-politischer-aktivismus/
Immigrant Movement International
Tania Bruguera Fernández ist eine kubanische Artivistin. Sie hat viele Aktionen auf ihrer Webseite dokumentiert. Als Teil der Gruppe „Immigrant Movement International“ hat sie beispielsweise Unterschriften gesammelt für einen offenen Brief an Papst Franziskus, um ihn aufzufordern, benachteiligten Menschen die vatikanische Staatsbürgerschaft zu gewähren.
Afghan Refugees Movement
Afghan Refugees Movement ist eine unabhängige Gruppe in Frankfurt, die sich gegen Ausschaffungen nach Afghanistan wehrt. Sie organisieren regelmässig Demonstrationen. Die letzte fand am 6.12.17 direkt am Flughafen Frankfurt statt, wo 500 Menschen gegen die Ausschaffung von 27 Menschen nach Afghanistan protestierten. Die Gruppe organisiert auch andere Veranstaltungen, wie Vorträge oder Gruppentreffen.
Center for Tactical Magic
Das Center for Tactical Magic engagiert sich in der Bildung und Störung von Macht durch die Verwendung von Geschichten, Symbolen und Bildern. Ihr Ziel ist die Emanzipierung von Menschen, um sich ihre eigene Lebensrealität zu schaffen. Auf ihrer Webseite gibt es verschiedene Anleitungen, wie der Alltag gestört werden kann.
Berlin Umsonst
Die Gruppe Berlin Umsonst hat falsche Tickets des Berliner öffentlichen Verkehrs gedruckt und verteilt – öffentlicher Verkehr sollte für alle umsonst sein. Ausserdem wollten sie auf die rassistisch-kriminellen Assoziationen des Begriffs “Schwarzfahren” hinweisen und haben ihre Aktion Pinker Punkt genannt. Früher gab es auch den roten Punkt:
http://www.linkfang.de/wiki/Roter-Punkt-Aktion
Kein Mensch ist illegal
Die Gruppe Kein Mensch ist illegal verband sich gegen die Komplizenschaft der Fluggesellschaft Lufthansa mit dem Staat bei der Ausschaffung von Menschen. Die Kampagne startete mit einer Image-zerstörenden Aktion, bei der sie mit einer neuen Budgetklasse namens „Deportation class“ Werbung für die Lufthansa machte. Das wären Sitze neben Menschen in Handschellen und Klebeband über dem Mund – die Preise sind dafür günstiger. Sie verwendeten Flyer, hackten die Webseite der Lufthansa, tauchten an der GV und bei Pressekonferenzen der Lufthansa auf und performten Ausschaffungen am Flughafen. Sie erreichten zwar nicht die Verhinderung von Ausschaffungen an sich, doch die Lufthansa führt keine Ausschaffungen mehr durch.
The Space Hijackers (Die Raum Entführer)
The Space Hijackers (Die Raum Entführer) irritierten bis 2014 den öffentlichen Raum in London. Sie kämpfen gegen die Beeinträchtigung des kollektiv geteilten Raumes durch Organisationen, Stadtplaner*innen und andere Schelme. Beispielsweise haben sie es strategisch ausgeklügelt geschafft, in eine Waffenhandelsmesse mit einem Panzer einzubrechen und ihn dort zu versteigern. Auf ihrer Webseite haben sie eine umfangreiche Dokumentation all ihrer Aktionen aufgeführt: Zum Beispiel ein Onlinetest: https://spacehijackers.org/amIananarchist/index.html
Biotic Baking Brigades
Die Biotic Baking Brigades ist ein loses Kollektiv, das berühmten Menschen, die „Verbrechen gegen Menschen und Land verüben“, Kuchen ins Gesicht wirft. Es schreibt auf seiner Webseite: “Dieses Aufbäumen hat seine Wurzeln nicht im Glauben, dass unser Planet stirbt, sondern er wird getötet und die, die das Töten verursachen, haben Namen und Gesichter.“
https://web.archive.org/web/20030622231356/ http://www.bioticbakingbrigade.org:80/index.html
Festival über unkonventionelle Kunst, bei dem sie auftraten:
http://theinfluencers.org/en/biotic-baking-brigade 
Das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS)
Das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) in Berlin ist ein Zusammenschluss von Aktionskünstlern, die im Namen des „aggressiven Humanismus’“ diverse Aktionen in Deutschland und der Schweiz inszenieren. Eine Aktion nannte sich „Europäischer Mauerfall“. Dabei wurden bei einer Gedenkstätte für die Toten an der Berliner Mauer die Kreuze abmontiert und für den 25. jährigen Gedenktag des Mauerfalls zu ihren Brüdern und Schwestern an die EU-Aussengrenze gebracht. Provokation und Aufruhr ist das Mittel ihrer Aktionen. Die empörten und angriffigen Zeitungsartikel, die über die verschiedenen Aktionen verfasst wurden, schmücken wie Trophäen die Webseite des ZPS.  Interview mit einem Aktivisten:
https://www.vice.com/de/article/znk3vw/die-neuen-mauertoten-europas-772
Proteste gegen Treffen der Weltbank und des IWF in Prag
Im September 2000 fanden Proteste gegen Treffen der Weltbank und des IWF in Prag statt. Der Schwarze Block von ungefähr 5000 Menschen hatte riesige blaue Bälle dabei. Darauf stand in oranger Schrift „Balls to the IMF“. Der Plan war die Belagerung des Treffens, doch, wie erwartet, verunmöglichte die zahlreiche, schwer bewaffnete Polizei das Vorhaben. Das Gefecht ging los, die Wasserwerfer wurden eingesetzt – das ist der Moment der Bälle. Sie verkörperten die Vorhersehbarkeit der Repression, sind eine scherzhafte Vorwegnahme, was passieren würde, die Vorbereitung auf die Front und der Versuch eines spielerischen Umgangs damit. (Interpretation von Christian Scholl) Folgende zwei Filme zeigen die Verwendung der blauen Bälle. https://www.youtube.com/watch?v=iXn6Kv6_pqw, https://www.youtube.com/watch?v=GIVvBF_7JDo
Gemälde als Barrikaden
1849 gab es in Dresden einen sozialistischen Aufstand, der von preussischen Truppen bedroht wurde. Mikhail Bakunin schlug vor, Gemälde aus den nationalen Museum zu benutzen um sie vor die Barrikaden zu hängen. So sollten die bürgerlichen Gefühle provoziert werden und ein Angriff verhindert werden. Der Vorschlag setzte sich nicht durch, nicht alle wollten damals die Kunst instrumentalisieren.
Aus dem Sammelband Cultural Activism – herausgegeben von Begüm Özden Fırat and Aylin Kuryel.
Tute Bianche (Die Weissen Overalls)
Tute Bianche (Die Weissen Overalls) entstanden aus einer Repressionswelle in Italien. Die Aktivisten haben mit Kissen ausgefüllte weisse Overalls getragen, um sich vor Polizeigewalt zu schützen und an Orte zu gelangen, die gewaltsam abgeschottet werden. Sie wollten soziale Konflikte sichtbar machen – aufzeigen, wer Gewalt ausübt und damit trotzdem die Mächtigen konfrontieren. Das Bild eines ausgepolsterten, sich schützenden Aktivisten gegenüber einem massiv bewaffneten Polizisten spricht für sich selbst. Sie haben bei einem Protest in Barcelona Plexiglasschilder benutzt, auf die sie Bilder von Kindern klebten, wie sie auf Spendeaufrufen abgebildet sind.
https://www.nadir.org/nadir/initiativ/agp/free/tute/
https://www.azzellini.net/zapatisten/die-tute-bianche-weisse-overalls
Zwarte Piet is Racisme
Das Projekt Zwarte Piet is Racisme wurde 2013 in Amsterdam ins Leben gerufen. Dabei wird die Tradition vom Schwarzen Peter, dem Begleiter des Sinterklas, als rassistisch angeprangert. Das Projekt hat eine breite mediale Beachtung gefunden und wurde emotional-kontrovers diskutiert. Sie haben das Logo „Zwaarte Piet is Racisme“ auf T-Shirts gedruckt, Diskussionen und Proteste veranstaltet, sowie eine gefälschte UN Meldung herausgegeben, in der es hiess, dass eine Rassimusanklage gegen die niederländische Regierung abgeklärt wird.
Proteste Lampedusa
Seit über 10 Jahren finden auf Lampedusa immer wieder Proteste von vielen geflüchteten Menschen statt. Im Januar 2009 haben sie dabei das „eigene“ Flüchtlingslager angezündet. Sie fordern die Möglichkeit, sicher zu reisen und an den Bestimmungsort gehen zu können, den jede*r selbst wählt. Die Gruppe Askavusa Lampedusa informiert darüber und stellt konkrete Forderungen in Form von Appellen an die Staatsorgane. Ausserdem führt sie einen Blog und begleitet einzelne Menschen dabei, ihre Rechte einzufordern. Am 2.1.2018 haben sie in einem Haus in der Nähe des Hotspots einen Mann hängend gefunden – die letzte Form des Protest. Sie sagen: „Das ist das extremste Ereignis einer Serie von Selbstschädigung, die die zum Bleiben Gezwungen sich selbst angetan haben.“
https://medium.com/@AreYouSyrious/ays-daily-digest-05-01-2018-the-trickle-down-effect-d957f1623b03
NOBESE action group
Die NOBESE action group wurde 2005 geformt, um gegen die Überwachung in Istanbul in Aktion zu treten. Es wurden Flugblätter bei der Eröffnung des neuen Überwachungssystems verteilt und Strassenaktionen durchgeführt, in denen Überwachung und Kontrolle in Performances auf der Strasse gezeigt wurde. Die Kameras wurden fotografiert und mit Ferngläsern betrachtet und Stickers “evil eye” verteilt. Die Aktionen wurden mit Musik begleitet, um möglichst viel Aufmerksamkeit im öffentlichen Raum zu erzielen.
Theater der Unterdrückten, Unsichtbares Theater
Beim Theater der Unterdrückten werden Situationen, in denen Menschen nicht handlungsfähig sind, nachgespielt und gemeinsam neugestaltet. Daraus ist später das Unsichtbare Theater gewachsen. Dabei werden im öffentlichen Raum Situationen inszeniert, die auf politische Themen hinweisen und den unwissenden Beteiligten eine Erfahrung ermöglichen. Das unsichtbare Theater entwickelte sich, weil offener Protest aufgrund der Repression nicht möglich war.
Weiteres zum Nachlesen
-Weitere Bücher zu kreativen Interventionen:

https://www.goodreads.com/book/show/755962.The_Interventionists
-Handbuch der Kommunikationsguerilla, das verschiedene Formen davon beschreibt und diskutiert:
http://kommunikationsguerilla.twoday.net/topis/a.f.r.i.k.a.-texte/
Die Siuationisten und Dadaisten, die es leider nicht mehr in die Liste geschafft haben.
http://library.nothingness.org/articles/SI/en/
-Anarchistische Rezeptbücher:
https://de.scribd.com/doc/11251441/The-Anarchist-Cookbook-by-William-Powell-1971
http://bnrg.cs.berkeley.edu/~randy/Courses/CS39K.S13/anarchistcookbook2000.pdf
https://crimethinc.com/books/recipes-for-disaster
-Ein Podcast zu der „Hedonistischen Internationalen“:
https://cre.fm/cre185-hedonistische-internationale
-Werk, das weitere direkte Aktionen erklärt und diskutiert:
Direkte Aktion von David Graeber

Bei der Erarbeitung der Liste hat die Autorin darüber nachgedacht, dass es gut ist, ein Bewusstsein zu haben, was mensch will: provozieren – auf was hinweisen – Gefühle ausleben – sich organisieren und Banden bilden – Verhältnisse zu dekonstruieren – nach Alternativen zu suchen – Utopien leben – viel mediale Aufmerksamkeit für ein Thema – sich einem Thema einfach irgendwie zuwenden und einfach irgendwas damit machen – Solidarität zeigen – eine Debatte entfachen – ein konkretes Ziel verfolgen – parallele Organisationen und alternative Wege im bestehenden System schaffen – die Lebensbedingungen im gegebenen Strukturen / Situationen verbessern. Weiter stellt sich die Schwierigkeit der Übereinstimmung von Zweck und Aktion, die Ungerechtigkeit in den unterschiedlichen Handlungsspielräumen, der Konflikt zwischen Absicht und Ergebnis, das Verhältnis und die Wahrnehmung im Einsatz von verschiedenen Mitteln in gegebenen Kontexten, die Instrumentalisierung der Situation gegen die mensch sich wehrt – oder ob damit das eigentliche Ziel oder die Ideologie sabotiert wird – und weshalb das dann so ist. Sie hofft, dass sich Leser*innen von den Beispielen, die passen, für eigene Aktionen inspirieren lassen, oder – noch besser – bei dem, was nur so halb gefällt, weiterdenken, wie es verändert werden müsste, damit es für sie Sinn ergibt.

Was wollte ich eigentlich von der Migration?

Migration von Menschen hat verschiedene Gründe. Oft steht der Wunsch dahinter, eine bessere Situation zu erreichen und grundlegende Menschenrechte zu haben. Migration ist eine Form der Fortbewegung zwischen zwei geografischen Orten und nicht nur ein soziales Problem, sondern auch eine Manifestation von Mobilität, Willensfreiheit und Wahlfreiheit von flüchtenden Menschen.

Im Jahr 2015 haben Tausende von Menschen aus Asien und Afrika eine tödliche Reise und Todesängste auf sich genommen, um das Minimum eines sichereren Lebens zu finden. In den Jahren 2015 und 2016 hat die Menschheit eine Situation erlebt, in der tausende von Menschen sich in ihrem Land nicht mehr sicher fühlen konnten und ihre Grundbedürfnisse nicht gewährleistet waren. Tausende Kilometer haben die Personen zurückgelegt, auf den Wegen, auf denen es für sie möglich war – in physisch und psychisch schlechten Zuständen. Hungrig haben sie überall – in den Bergen, in Bahnhöfen, unter Brücken und unter freiem Himmel – geschlafen. Tage und Nächte riskierten sie ihr Leben bei einer gefährlichen Überfahrt über die Berge und das Meer, um ihre verlorene Zukuft zu finden. Aber leider haben viele diese Zukunft immer noch nicht gefunden. Die tausenden Menschen, die mit den Hoffnungen eines besseren Lebens nach Europa geflüchtet sind, haben die Welt schockiert. Inzwischen wurden tausende Menschen in Schiffslagern, unter Lastwagen oder im Meer getötet. Sie wussten, dass sie vielleicht sterben werden, aber sie hatten keine andere Möglichkeit. Niemand weiss von denen, die verschwunden sind. Und viele von denen, die in einem sicheren Land angekommen sind, sind immer noch nicht sicher und ertragen belastende Situationen. Die Emigration geht weiter, die Zukunft der neu Geflüchteten ist in einem unklaren Zustand und zusätzlich zu den Ansiedlungsproblemen sehen sich die MigrantInnen in der neuen Gesellschaft einer Identitätskrise ausgesetzt. Noch immer wird der Mensch nicht als Mensch anerkannt, sondern muss vor allem ein Identitätsdokument aus Papier haben. Wo bin ich, ich der Mensch?

Flucht kann aus verschiedenen Gründen sowohl innerhalb als auch ausserhalb eines Landes erfolgen. Aber letztendlich steht hinter jeder Flucht der Wunsch, eine bessere Situation zu erreichen. Im Fall von durch Krieg traumatisierten Menschen, die immer fern ihrer Heimat waren und immer noch sind, ist Flucht nicht nur Migration, sondern hauptsächlich eine Verletzung auf emotionaler Ebene. Die meisten Menschen emigrieren, um ihre grundlegenden Menschenrechte zu erreichen. Der Wunsch nach dem Genuss dieser Menschenrechte ist in der Tat der fundamentale Grund für Menschen, die Last der Flucht auf sich zu nehmen.

Was wollte ich eigentlich von der Migration und was waren meine Erwartungen? Das erste und wichtigste der Menschenrechte ist das Recht auf Leben, das Recht zu leben. Weiter sind in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert: das Recht auf Sicherheit, das Recht auf Identität, das Recht auf Bildung, das Recht auf Arbeit, das Recht zu heiraten, das Recht auf freie Meinungsäusserung, das Recht auf Meinungsfreiheit und viele mehr.

Viele Menschen sind immer noch dabei, diese Grundrechte zu erreichen. Krieg, Gewalt und Unsicherheit in verschiedenen Ländern sind auf dem Höhepunkt. Die Sicherheit der Menschen ist jeden Tag bedroht. Seit vielen Jahren vergeht kaum ein Tag, ohne eine Nachricht von Todesfällen durch Krieg, Bombardierungen, Explosionen und Selbstmordattentate, was auch der Grund für die Emigration ist.

Was Menschen von Immigration wollen: zuallererst Überleben. Erst danach kommen menschliche und soziale Bedürfnisse, die ein Mensch als Erdling in der neuen Gesellschaft empfindet – was in einer zweiten und fremden Gesellschaft nicht einfach ist. Nun kommen wir zum Schluss, dass wenn ein Mensch nicht
mehr von Krieg und Unsicherheit bedroht ist – was mit der Migration geschieht – auch emotional und empfindsam ist. Viele Freunde, die jahrelang mit ihnen gelebt haben und aufgewachsen sind, werden sie vielleicht nie wieder sehen. Und Menschen, die in der Gesellschaft neu sind, begegnen anderen Herausforderungen als Menschen, die alle in derselben Gesellschaft aufgewachsen sind und sich kennen. Es ist eine grosse Herausforderung, fremd in einer Gemeinschaft zu sein.
Aus bürokratischer Sicht werden Flüchtlinge in Bezug auf Bürgerrechte wie Menschen der zweiten oder dritten Kategorie eingestuft. Für eine lange Zeit sind sie sogar eingeschlossen und können nicht selber entscheiden, in welcher Stadt und Provinz sie arbeiten und leben wollen. Für alles muss mensch sich qualifizieren. Dies ist sehr schmerzhaft und es ist ein schweres Gefühl, das eine Person mental trifft und manchmal das Vergnügen und die Lebensqualität nehmen kann.

In Bezug auf die Bürgerrechte ist ein*e Mirgrant*in in vielem benachteilig und das Gefühl der sozialen Gerechtigkeit wird in Frage gestellt. Daher kann das Phänomen der Migration als eine menschliche und moralische Krise bezeichnet werden. Viele Menschen fliehen vor anderen Menschen und wollen für sich selbst einen neuen Platz in einer neuen Gesellschaft schaffen. Das ist emotional hart, dieses ‘’fremd sein’’ im Inneren aufzulösen.

Der Bezug des Textes kommt aus der Erfahrung des Autors. Er beschreibt, warum Menschen wegen Diskriminierung durch Menschen weg gehen und nach anderen Wegen zum besseren Leben suchen. Der Autor kritisiert die Strukturen, die sein Erleben prägten.

Was ich in der Schweiz als schwarzer geflüchteter Einwanderer erlebe

Das Leben in der Schweiz ist geprägt von Gefängnis, selbst wenn du kein Verbrechen begehst. Es gibt keine Liebe und keinen Respekt für Immigrant*innen, keine Freiheit und kein Frieden für Immigrant*innen, schon gar keine Menschenrechte für Immigrant*innen. Ich bin unschuldig, sie behandelten mich wie einen Kriminellen und ich fühle mich machtlos – Gerechtigkeit und Freiheit gibt es auch nicht für Immigrant*innen, sondern politische Trennung aufgrund der Hautfarbe. Rechte sind geknüpft an die politische und ökonomische Unterordnung – und eine Minderheit muss einfach die Regeln befolgen und hat überhaupt keinen Zugang zu Rechten. Die Rechtslage sagt viel aus über die Natur der Machtbeziehungen in einer Gesellschaft.

Meine Erfahrung als schwarzer Migrant in der Schweiz

Teil 1

Das Leben in der Schweiz könnte als Gefängnisleben de niert werden. Ich bin im Gefängnis, bloss weil ich keine Dokumente habe. Das Leben hier ist voller Anspannung, denn wenn du von der Polizei kontrolliert wirst, landest du im Gefängnis. Wir Immigrant*innen in der Schweiz haben keinen Frieden und es gibt für uns keine Menschenrechte. Wir haben auch keine Freiheit – vor allem wir schwarzen Menschen. Kannst du dir vorstellen, dass ein*e Polizist*in irgendwo, wo viele Leute sind, reinspaziert und nur die Schwarzen kontrolliert, während er*sie die anderen in Ruhe lässt, bloss aufgrund ihrer Hautfarbe? Ist das nicht eine rassistische Praxis? Hier gibt es keine Liebe und keinen Respekt für Immigrant*innen, vor allem schwarze Menschen. In kaum einem Land gibt es so rassistische Polizist*innen wie in der Schweiz, aber das bekommst du nicht mit, wenn du eine echte Schweizer*in bist. Aus vielen meiner Erfahrungen als schwarzer afrikanischer Migrant in der Schweiz, schliesse ich, dass einige Gesetze hier vor allem für Migrant*innen gemacht sind. Aber Menschen ausserhalb des Gefängnisses wissen das nicht, denn die Schweizer Polizei und Regierung geben in der Öffentlichkeit ein gutes Bild ab und alle denken ihre Regierung und Polizei seien korrekt. Dabei habe ich davon schon oft von Leuten gehört, bevor ich es hier im Gefängnis selbst erlebt habe. Nichtsdestoweniger ist meine Erfahrung als schwarzer Migrant in einem Schweizer Gefängnis, dass sie uns hier wie Sklav*innen behandeln. Der Sicherheitstyp weckt uns morgens um 07:15, indem er die Türe öffnet. Dabei stellt er sicher, dass die Türen weit geöffnet sind, um uns zu stören und aufzuwecken. Wenn du fragst, wieso er das tut, wirst du folgende Antwort kriegen: „Das ist ein Gefängnis und kein Hotel!“ Wenn du Besuch hast, wie es dir von Gesetzes wegen zusteht, musst du dich zuerst vor den Wärtern nackt ausziehen. Auch wenn du schon oft Besuche hattest, verlangen sie es. Wenn sie dich durchsuchen und du sie fragst wieso, sagen sie dir, dass du dich einfach nackt ausziehen musst und dich als Person sowieso nicht weigern darfst. Wenn du dich weigerst, bringen sie dich an einen Ort, den sie Bunker nennen – das ist ein sehr schlimmer Ort, wo du alleine in einen Raum gesperrt bist und von ihnen gefoltert wirst. Es kann sein, dass du eine ganze Woche dort sein musst, ohne jemals hinauszukommen oder zu sehen. Wir sind denen hier im Gefängnis völlig egal. Ehrlich gesagt, haben die meisten Menschen, die ich im Gefängnis traf, nichts verbrochen. Einige von ihnen waren zwei Jahre im Gefängnis, andere nur sechs Monate und dann gab es auch solche, die waren noch länger drin. Und wenn du sie fragst, findest du heraus, dass sie bloss sitzen, weil sie keine Papiere oder Dokumente haben. Etwas anderes was ich hier im Gefängnis erfahren habe, ist, dass wenn du hierher gebracht wirst, die Polizei all dein Geld wegnimmt, so dass du gezwungen bist im Gefängnis zu arbeiten. Sie geben dir hier eine Arbeit, die zwei Stunden dauern sollte, aber wir müssen immer zweieinhalb Stunden arbeiten. Es ist eine sehr anstrengende Arbeit, aber sie bezahlen nur sechs Franken am Tag. Zum Essen. Wir essen hier im Gefängnis nur zweimal am Tag. Sie geben uns um elf Uhr Essen und das Abendessen gibt es um fünf Uhr. Es gibt hier im Gefängnis einen kleinen Kiosk, wo die Sachen für den doppelten Preis wie draussen verkauft werden und der Kiosk hat nur freitags geöffnet, also einmal pro Woche für zwanzig Minuten. Wenn du also diese zwanzig Minuten Einkaufszeit verpasst, musst du bis zum nächsten Freitag warten. Weiter oben habe ich erzählt, dass dir das Geld, das du auf dir trägst, abgenommen wird, also musst du im Gefängnis arbeiten. Wenn du dich weigerst, werden sie dich hassen und du wirst zu vielen Dingen hier keinen Zugang bekommen. Sie gehen sicher, dass du bestraft wirst. Damit sie dich ins Spital bringen, musst du richtig krank sein. Wenn du nur ein bisschen krank bist, kannst du es vergessen, denn sie behandeln dich hier wie einen SKLAVEN. Und wenn du zum Spital gebracht wirst, werden deine Hände und deine Füsse selbst während der Behandlung durch die Polizei gefesselt sein, ausser der*die Doktor*in weist die Polizei an, die Fesseln abzunehmen. Ansonsten bleiben die Fesseln, vom Losgehen, bis du wieder zurück im Gefängnis bist. Wenn du zum Gericht gehst, wirst du beim zurückkommen am ganzen Körper durchsucht. Auch wenn du sonst irgendwo-hin gehst. Wenn du sie fragst wieso, sagen sie dir, weil du in der Schweiz bist. Etwas anderes. Hier im Gefängnis hast du das Recht eine Anwältin oder einen Anwalt zu treffen – entweder sie teilen dir eine*n zu oder du hast die Erlaubnis selbst eine*n zu suchen. Aber sie verweigern es dir. Und wenn du fragst weshalb, erhältst du als Antwort: „Nein, du bist in der Schweiz.“ Alle diese Behandlungen hängen damit zusammen, dass wir keine Papier oder Dokumente haben – was sie ILLEGAL nennen. Wenn du von der Polizei oder Grenzwache kontrolliert wirst und nicht die richtigen Papiere hast, bringen sie dich auf die Wache um die Fingerabdrücke abzunehmen und zu sehen, ob du sie schon sonst wo in Europa abgegeben hast. Wenn du das hast, wirst du dorthin geschickt wo du zuerst registriert wurdest. Wenn du sie nirgends in Europa hast, wird dich die Migrationspolizei zwingen in der Schweiz einen Asylantrag zu stellen und nach drei Monaten wirst du mit einem Negativentscheid abgelehnt und sie stecken dich ins Gefängnis. Du wirst vor Gericht gebracht, wo du drei Monate für illegalen Aufenthalt bekommst. Dann, nach drei Monaten, geben sie dir weitere drei Monate bis vielleicht 18 Monate und dann wirst du in dein Ursprungsland ausgeschafft. Wenn du zum Beispiel in der Schweiz einen Negativentscheid hast und in ein anderes Land gehst, ruft das Land die Schweiz an und bittet die Behörden dich zurück zu schicken. Zurück in der Schweiz bringt dich die Migrationspolizei ins Gefängnis und nach zwei Tagen zum Gericht – stell dir vor für „illegal sein.“ Sie stellen dir keine*n Anwält*in zur Seite und sie sind alle gegen dich und fragen, wieso bist du aus der Schweiz ausgereist? Wenn du sagst, weil ich einen Negativentscheid erhalten habe, sagen sie dir, dass du kein Recht hast irgendwohin zu gehen ausser in dein Ursprungsland und du darfst vor Gericht nicht einmal deine Sicht darlegen. Ausserhalb des Gefängnisses Häu g geht die Polizei hier in der Schweiz in afrikanische Shops um schwarze Menschen zu kontrollieren, die etwas zu Essen oder zu Trinken kaufen. Dies schreckt manchmal die Kund*innen des Shops davon ab dort weiterhin einzukaufen. Deshalb sagte ich, dass wir Schwarze oder schwarze Immigrant*innen in der Schweiz mehr als in anderen europäischen Ländern voller Angst durch die Strassen gehen. Wir sollen verstehen, dass wir als schwarze Immigrant*innen hier keine Rechte haben.

Teil 2

Das Leben in der Schweiz ist geprägt von Gefängnis, wenn du keine Dokumente hast, denn wenn du von der Polizei kontrolliert wirst, stecken sie dich ins Gefängnis. Und wenn du ein Dokument von einem anderen europäischen Land hast, versuchen sie dir ein VERBOTEN zu geben, was heisst, du darfst für so und so viele Jahre nicht mehr in die Schweiz kommen. Es ist unterschiedlich, wie viele Jahre sie einer Person geben (Ich kenne einen Mann, der eine Einreisesperre bis 2099 bekam). Es gab einen Fall, da die Polizei in einen afrikanischen Shop ging. Nach der Kontrolle, gingen sie mit einem schwarzen Mann weg, und der schwarze Typ fragte sie „Wieso soll ich mit euch gehen, wenn ich doch ein Dokument habe?“ Sie sagten ihm, dass er ein VERBOTEN in Frankreich habe und er sagte „Ja, aber hier ist nicht Frankreich sondern die Schweiz.“ Stell dir vor, er schlief in einer Polizeizelle für drei Tage, bis sie ihn zum Gericht brachten. Dort fragte ihn der Richter, was der Mann gemacht habe. Die Polizistinnen sagten, er habe ein VERBOTEN. Der Richter fragte sie darauf, wo, wann und in welchem Land er es habe. Denn der Angeklagte sagte, er habe nur ein VERBOTEN für Frankreich für zehn Jahre und er sei nie mehr in Frankreich gewesen. Der Richter sagte den Polizist*innen, sie hätten ein Woche Zeit, den genauen Ort herauszufinden, wo er das VERBOTEN erhielt. Aber sie konnten es nicht heraus finden und mussten ihn nach einer Woche wieder entlassen. Sie sagten sie hätten Frankreich angerufen und das VERBOTEN gelte nur für Frankreich. In ihrem System konnten sie nichts gegen ihn finden. Das ist was wir Schwarzen oder Immigrant*innen hier in der Schweiz erleben. Wenn du im Gefängnis arbeitest und das Migrationsamt dich in dein Ursprungsland zurückschicken will, geben sie dir das Geld, für das du gearbeitet hast, nicht. Das ist sehr SCHLECHT. Sie behandeln uns, als ob wir TIERE wären. Wenn deine Frau oder deine Freundin dich besucht und ihr im Besucherraum eure Hände haltet, stellt dir vor, kommt die Wache und befiehlt euch, euch nicht an den Händen zu halten, und sagt, dass deine Frau oder Freundin Probleme mit ihm bekommen würde, wenn ihr es nicht unterlässt. Stell dir die Beleidigungen vor, die wir von ihnen aushalten müssen. Du kannst deine Frau oder Freundin nicht umarmen, weil du im Gefängnis bist, weil du ILLEGAL bist. Das nenne ich VERLETZUNG DER MENSCHENRECHTE! Im Übrigen sind die Dinge die ich hier beschrieben habe wenig verglichen mit dem, was wir im Schweizer Gefängnis tagtäglich sehen.

Wie Afrikaner*innen für Papiere, Bildung und eine Arbeit kämpfen – und wie Europäer*innen mit Migration umgehen

Ich bin dreissig Jahre alt, komme ursprünglich aus Guinea Conakry und lebe und arbeite nun in Basel. Vor zehn Jahren bin ich aufgrund der Diktatur und familiärer Probleme gezwungen worden mein Land zu verlassen. Meine Reise von Guinea in die Schweiz dauerte fast acht Jahre lang – hier zeichne ich einen groben Entwurf davon:

Ich habe Guinea im Dezember 2006 in Richtung Senegal verlassen, ging anschliessend über Mali, Niger nach Libyen, wo ich drei Monate später ankam. Es war eine Reise durch die Wüste und durch die Hölle – nicht alle aus unserer Gruppe haben dabei überlebt. In Libyen angekommen realisierte ich, dass es dort viele Probleme mit der Polizei gab. Menschen konnten sich nicht frei bewegen. Mein Pass wurde zerrissen und ich für drei Monate ins Gefängnis in der Nähe von Tripolis gesperrt. Während dieser Zeit wurde ich gefoltert und misshandelt – ich und unzählige andere Afrikaner haben viel gelitten. Aber wieder durch die Wüste zurückzukehren war keine Option, ich würde diese Reise nicht nochmals überleben.

Als ich aus dem Gefängnis entlassen wurde und in Tripolis ankam, war es schwierig, eine Arbeit sowie Hilfe zu finden, wenn man krank ist. Denn versucht man ins Krankenhaus zu gehen, so werden sie die Polizei rufen um einen zu verhaften. Das ist der Grund warum viele Migrant*innen sehr viel gelitten haben. Manchmal versuchte die Polizei in der Nacht in das Haus zu kommen um dort Menschen zu verhaften. Ich habe viele Männer, Frauen und Kinder gesehen, die immer wieder misshandelt wurden. Dies ist der Grund warum ich finde, dass Europa kein Recht dazu hat, Menschen zurück nach Libyen auszuschaffen. Und seit ich dort gewesen bin, ist es nur noch schwieriger geworden als vorher, als Gadhafi noch an der Macht war.

Ich entschloss mich dazu, Libyen auf dem einzig möglichen Weg, dem Boot, zu verlassen. Der erste Versuch endete in einer Kata- strophe – viele Menschen sind dabei gestorben. Die zweite Fahrt dauerte fünf Tage lang auf offener See. Ich bin am 18 August 2007 mit 28 weiteren Menschen in Malta angekommen. In Malta wurden wir von der Polizei verhaftet und in einem Lager namens Alhalfar in Gewahrsam genommen. In diesem Gefängnis musste ich ein Jahr lang bleiben, andere mussten dort bis zu eineinhalb Jahre bleiben. In Malta werden nur Afrikaner*innen so behandelt – andere werden entweder direkt in ihr Heimatland ausgeschafft oder ihnen wird gewährt, in einem Lager zu wohnen. Das offizielle Statement um die Inhaftierung zu rechtfertigen lautet, dass Westafrikaner*innen Träger*innen von Infektionskrankheiten sein können und aus diesem Grund isoliert werden müssen. Das Schlimme am Gefängnis war, dass wir nicht darüber informiert wurden, was mit uns geschieht, wie lange wir da drinnen bleiben müssen und warum wir überhaupt verhaftet worden sind.

Selbstorganisation ist etwas positives, wenn es geschieht. Aber es ist nicht einfach. Denn wir Migrant*innen sind keine einheitliche Gruppe.

Ich hatte das grosse Problem, nachts aufgrund von schlimms- ten Albträumen nicht schlafen zu können. Aber als ich den Arzt treffen und ihm von meinen Problemen erzählen konnte, gab er mir immer nur Schlaftabletten. Das half überhaupt nichts, denn selbst mit Medikamenten wacht man mit schrecklichen Bildern im Kopf auf und kann dann nicht mehr einschlafen und fühlt sich schwach und kraftlos. Ein anderes grosses Problem war, dass es keine*n einzige*n Übersetzer*in gab. In diesem Gefangenenla- ger gab es mehrere Wohnungen und jede Wohnung hatte drei Zimmer. Es gab zwei Toiletten für über 500 Menschen und nur einen Fernseher.

Nachdem ich das Gefängnis verlassen hatte, habe ich für neun Monate in einem Krankenhaus gearbeitet. Weil ich gemerkt habe, dass ich in Malta keine Hilfe bekommen werde um wieder gesund zu werden, entschloss ich mich dazu, nach Italien zu gehen. In Italien angekommen, liessen sie mich wissen, dass ich zurück nach Malta kehren müsse, weil ich meine ersten Fingerabdrücke dort habe (Dublin-Vertrag der EU).

So musste ich die Reise fortsetzen und kam im November 2009 in den Niederlanden an. Dies war das erste Mal als ich herausfand, dass ich traumatisiert war. Ich wurde zu einem Psychiater geschickt und bekam dort die Hilfe die ich benötigte. Ich bekam Medikamente und ging zur Schule – ich lernte lesen und schreiben. Nach zweieinhalb Jahren in den Niederlanden, wurde ich als eine wieder „gesunde Person“ eingeschätzt und, basierend auf dem Dublin-Abkommen, zurück nach Malta, geschickt.

Zurück in Malta, wurde ich wieder ins Gefängnis gesperrt, da ich das Land ohne einen Pass oder eine Bewilligung verlassen hatte. Ich war für weitere sechs Monate eingesperrt. Nach all dem beschloss ich, von der Vergangenheit zu lernen und meine Erfahrungen mit anderen Migrant*innen zu teilen um ihnen dabei zu helfen, sich in der neuen Kultur, im neuen System und der neuen Gesellschaft zurechtzufinden. Ein weiteres Ziel von mir ist es, junge Menschen in Afrika über die Migration nach Europa zu informieren; dabei nicht die Schule zu verlassen und viel zu studieren um eine gute Ausbildung zu bekommen. So können sie in ihren eigenen Ländern aufwachsen, ihr Land zum Besseren verändern und müssen nicht ihr Leben und ihre Würde auf dem gefährlichen Weg nach Europa aufs Spiel setzen.

Selbstorganisation ist etwas positives, wenn es geschieht. Aber es ist nicht einfach. Denn wir Migrant*innen sind keine einheitliche Gruppe. Zum Beispiel Menschen aus dem Senegal und aus Guinea oder Menschen aus Nigeria und Menschen aus Ghana, die passen nicht zusammen. Das ist ein grosses Problem. Wenn man es schaffen würde dieses Problem zu lösen, könnten die Dinge besser laufen. In Malta werden drei Hauptkategorien von Migrant*innen unterschieden: Menschen aus dem Nahen Osten, aus Ostafrika und aus Westafrika. Jede Gruppe hat unterschiedliche Chancen auf einen legalen Status. So vereinigen sich die Ostafrikaner (die bessere Chancen haben) nicht mit den Westafrikanern (die fast keine Chancen haben) um gegen die Probleme zu kämpfen. Nur Westafrikaner versuchen sich selbst zu organisieren. Und auch innerhalb der Westafrikaner gibt es vielleicht fünf von tausend, die die Situation, die Menschen und das Land kennen; diese treten dem Kampf allerdings nicht bei, aus Angst diesen Vorteil zu verlieren. Des Weiteren benötigt man einen Ort, wo man sich treffen kann. Ich erinnere mich zum Bei- spiel daran, als wir versucht haben ein Treffen zu organisiere um über die humanitäre Gnadenfrist zu diskutieren. Wir trafen uns in einem Fussballstadion. Das erste Treffen war gut, es sind viele Menschen gekommen. Während des zweiten und dritten Treffens, war die Polizei schon da. Seit die Polizei dort auftauchte, kamen die Menschen nicht mehr zum Treffen.

In Europa wurde ich unterrichtet, ich lernte meine Rechte kennen, ich lernte, dass hier etwas mehr Gleichheit herrscht und, dass man für seine Rechte kämpfen kann. In Malta schaltete ich eine Face- book Seite mit dem Namen „R. Know More Net- work“ auf und fuhr dann damit fort, die offenen Lager zu besuchen, mit den Migrant*innen über die Wichtigkeit der Selbstorganisation, Bildung und das Wissen der lokalen Kultur zu sprechen. Das „R.“ steht für den Namen meiner Mutter, Ramatah. Viele Afrikaner haben die Tendenz ihre Gefühle, Probleme und Schwierigkeiten für sich zu behalten und nicht über ihre Erfahrungen zu sprechen. Aber wir müssen den Europäern erzählen, wer wir sind und warum wir unser Heimatland verlassen haben, damit sie verstehen können.

Ich hasse die Grenze

Ich hasse die Grenze!
Die unsichtbare Linie…
Doch! Sie grenzt mich aus
und lässt mich nichts sehen…
Die Linie, die nirgendwo gezeichnet ist, ausser in den menschlichen Gedanken!

Ich hasse die Grenze!
Die Linie, die Zustimmung braucht,
um überschritten zu werden…
Die Zustimmung von den Menschen,
die meinen Seelenflug gar nicht verstehen! Die Grenzen bilden manchmal Distanz zwischen mir und meinen Wünschen! Manchmal bildet sie sich
zwischen mir und dir!
Die Grenze bildet sich sogar
zwischen meinem Körper und meiner Seele!

Ich bin ein Erdling!
Ich möchte die Welt erkunden und anschauen!
Dich anschauen und bewundern!
Ich will mich anschauen!
Deswegen hasse ich die Grenze! die Distanz! Die Differenz!

Wie die Waffenhändler von der Tragödie der Flüchtlinge profitieren

Stets versucht die EU, die Schuld auf die Menschenhändler abzuwälzen. Dies hat dazu geführt, dass die Tätigkeiten der EU nicht kritisiert werden.

Der Waffenhandel profitiert von den Konflikten im Nahen Osten von zwei Seiten: Einerseits werden für die Kriege in dieser Region viele Waffen benötigt und andererseits werden die Grenzen hochgezogen und militarisiert zum Schutz vor Geflüchteten. Diese sind jedoch eine Konsequenz dieser Konflikte: Der sogenannte Flüchtlingsstrom ist das Resultat von den durch den Waffenhandel ermöglichten Bürgerkriege und Gewalt.
Internationale Waffenproduzenten haben ein Interesse daran, dass der Mittlere Osten unsicher bleibt, denn dies verschafft ihnen zukünftige Arbeit. Europäische Länder helfen diesen Firmen, ihr Ziel zu erreichen, weil auch sie von diesen Exportgeschäften profitieren. Einerseits werden Waffen direkt in Krisenregionen gebracht. Andererseits betreibt die EU eine Migrationspolitik, in deren Zentrum das Militarisieren von Grenzen steht. Viele Gruppen in Grenzregionen erhalten von der Europäischen Union Geld, um ihre Grenzen zu militarisieren und zu schliessen mit dem Ziel, Flüchtlingen den Weg nach Europa zu verunmöglichen. Auch dadurch werden mehr Waffen benötigt. Laut einem Bericht der UN wurden von 2005 bis 2014 von der EU Waffen im Wert von mehr als über 82 Milliarden Euro bestätigt, die anschliessend in den Mittleren Osten/Nordafrika gesendet wurden. Dieser Bericht zeigt genau auf, dass die Gewinner dieses Waffenspiels sich nicht im Nahen Osten befinden und folglich auch nicht von den Konsequenzen in Mitleidenschaft gezogen werden (Stichwort: Syrien).
Trotz Einschränkungen und Embargos  füttern die Waffenproduzenten den Krieg mit technisch immer fortschrittlicheren Waffensystemen. So wird gewährleistet, dass der Krieg andauert. Viele Informationen über den Waffenhandel gelangen nicht an die Öffentlichkeit, oft werden die Geschäfte auf illegalem Weg abgewickelt. Es liegt jedoch auf der Hand, dass dieser Handel nur möglich ist, weil er sowohl von den europäischen Regierungen als auch von militärischen Institutionen in den Krisengebieten meistens gefördert und gesichert, in manchen Fällen zumindest toleriert wird. Ein Waffenhändler allein könnte ohne diese Unterstützung ein solches Geschäft nicht durchführen. Die besser ausgerüsteten Grenzen  sorgen dafür, dass die Flüchtlinge sich für einen gefährlicheren Weg entscheiden müssen. Und das heizt den Menschenhandel an und treibt die Preise in die Höhe. Menschenrechte spielen hier keine Rolle, ausser für Werbezwecke. Die Politiker missbrauchen diese Situation, um ihre nationalen Interessen durchzusetzen und tarnen dieses Vorgehen mit dem Deckmantel der Menschenrechte. Flüchtlinge werden dadurch nicht gerettet. Stets versucht die EU die Schuld auf die Menschenhändler abzuwälzen. Dies hat dazu geführt, dass die Tätigkeiten der EU nicht kritisiert werden. Experten und Menschenrechtsorganisationen warnen seit Jahren vor diesem Problem. Aber diese Warnung wurde ignoriert. Die Zahl der Todesopfer und die Anzahl der Menschen, die gezwungen sind, wegen eines Konflikts zu emigrieren nimmt stetig zu. Waffenhandel ist gleichzeitig auch immer der Handel mit der Angst der Menschen.

Der Autor dieses Textes schrieb auf, was er während der Flucht erlebt hat und was er von verschiedenen sozialen Netzwerken heraus fand.