Kommentar zu drei Todesfällen von Geflüchteten im Herbst 2017 und einer Totgeburt im Jahr 2014

Innerhalb kürzester Zeit starben im Herbst 2017 drei geflüchtete Menschen aufgrund von Polizeigewalt in der Schweiz. In Brissago/TI wurde Subramaniam H. von einem Polizisten erschossen. In Lausanne wollte die Polizei Lamin Fatty aufgrund einer Verwechslung transferieren und hielt ihn in Gewahrsahm. Dem an Epilepsie leidenden Mann wurde medizinische Hilfe verweigert und er starb in seiner Zelle. In Valzeina/GR wurde ein junger Mann aus afghanistan von der Polizei solange gehetzt, bis er von einer Klippe stürzte und starb. Das Schweigen der Medien und die Folgenlosigkeit für die Mörder weisen darauf hin, dass in der Schweiz nicht alle Leben gleichviel zählen.
Diese Meinung vertrat anscheinend auch das Militärgericht, das Anfang Dezember einen Grenzwächter, der sich für die Totgeburt einer geflüchteten Frau zu verantworten hatte, zu einer ziemlich milden Strafe verurteilte. Dieser Grenzwächter ignorierte die Schmerzensschreie der Frau, das Blut, das ihr in die Hosen lief und die Bitten ihres Ehemannes, medizinische Hilfe zu besorgen, als sie 2014 am Bahnhof in Brig in den Räumen der Grenzwache eingesperrt waren. Er steckte sie in diesem Zustand in den Zug nach Domodossola und schob “das Problem” somit nach italien ab. Dort war das zu früh geborene Baby aber bereits tot. Die Frau war eingesperrt, sie befand sich in der Gewalt eines Mannes, den es nicht kümmerte, dass es Menschen sind, die er einsperrt. Die Frau hatte keine Möglichkeit, sich selbst um die medizinische Hilfe zu kümmer. Das Baby ist ein toter Mensch, ein getötetes Kind. Das ist die Schuld dieses Mannes, der währenddessen auf dem Bahnsteig stand und eine Zigarette rauchte. Das ist die Schuld eines Migrationsregimes, das Menschen aufgrund ihreer Bedeutung für die Ökonomie bewertet. Das ist die reale Manifestierung des Spruchs „Grenzen töten“.

«Ich erwarte nichts Grossartiges mehr vom Leben»

Fahim sitzt vor uns und nickt uns freundlich zu. Das soll vielleicht bedeuten, dass wir mit dem Interview beginnen können. Der junge Mann scheint sich nicht allzu stark dafür zu interessieren, was wir in unserem Leben machen, wie wir unser Geld verdienen oder ob wir einer Organisation angehören. Fahim befindet sich seit einigen Monaten im Ausschaffungsgefängnis Bässlergut, wie er uns erzählt. Davor verbrachte er mehrere Jahre in unterschiedlichen Strafanstalten – zuerst in einem Massnahmenvollzug für junge Erwachsene, dann in der Untersuchungs-, Straf- und zuletzt in der Ausschaffungshaft. Er sei schon viel zu lange im Gefängnis und habe seine Strafe längst abgesessen.

Auf die Frage, wie sich die Alltagsgestaltung in der Strafhaft zu der in der Ausschaffungshaft unterscheidet, nennt er als ersten Punkt die Arbeitsmöglichkeit. In der Strafhaft war Fahim gemeinsam mit acht weiteren Insassen sowohl für das Mittags- als auch Abendessen zuständig. Gekocht wurde für 140 Personen.

Das war eine anstrengende Arbeit, bei der ich abends merkte, wie hart ich gearbeitet hatte.

Für 6.5 Stunden Arbeit pro Tag bekam Fahim 22 Schweizer Franken. Fahim gelang es so, Geld anzusparen, was der Grund ist, weshalb er nun im Bässlergut nicht zur Arbeit geht.

Bedingungen im Knast

Im Bässlergut verstehe man sich untereinander grundsätzlich gut, auch wenn es schwierig sei, sich mit den anderen zu unterhalten, da die meisten Englisch, Französisch oder Arabisch sprechen und kein Deutsch können. Seine Zeit schlägt er mit schlafen tot. Mit den anderen Gefangenen sowie den Wärtern habe er nicht viel zu tun. Letztere sehe er nur, wenn er Medikamente (gegen Magenaufstossen), einen Rasierapparat oder Essen bekommt. Ansonsten sei er viel für sich alleine. Bis vor kurzem teilte Fahim die Zelle mit einem anderen Insassen. Seit dieser ausgeschafft wurde, ist Fahim alleine in seiner Zelle.

Das macht mir nichts. Im Gegenteil. Ich bin sogar lieber alleine. Wie die Stimmung im Gefängnis ist oder wie es den anderen geht, interessiert mich nicht. Ich habe es langsam gesehen.

In Fahims Station werden momentan zehn Personen gefangen gehalten – alle mit dem Ziel, baldmöglichst ausgeschafft zu werden. In der Station gibt es sowohl Einzel-, als auch Zweier-, Vierer- und Achterzellen sowie einen Gemeinschaftsraum, welcher mit einem Töggelikasten, Teekocher, Tisch, sowie drei Stühlen, ausgestattet ist.

Gerade gestern wurde im Gemeinschaftsraum eine Kamera installiert. Wahrscheinlich deshalb, weil einige Insassen beim Töggelen eine Zigarette rauchten,

berichtet uns Fahim. Im Gegensatz zur Strafhaft sei das Essen hier miserabel, so Fahim. Manchmal gebe es abends nur Suppe und ein Stück Brot. Gegessen werde in der Zelle, jeder für sich.

Drohende Ausschaffung

Dass er ausgeschafft werden soll, bekam Fahim zum ersten Mal in einem Brief mitgeteilt. Darin waren seine begangenen Straftaten aufgelistet und die Begründung der Ausschaffung notiert. Zwar schob Fahim den Brief vorerst beiseite. Vergessen hat er ihn jedoch nie, wie er uns erzählt. Im Grunde glaubte er stets daran, nach dem Absitzen der Strafhaft in die Freiheit zu kommen. Den Brief erhielt er in einer Zeit, in der er sich auf der Flucht befand. Denn vom offenen Massnahmenvollzug ist Fahim abgehauen und untergetaucht – bis er sich wenige Monate später selber stellte. Doch statt der Weiterführung des Massnahmenvollzugs wurde Fahims Verhalten mit der Einweisung ins Untersuchungsgefängnis sanktioniert, wo er ein Jahr verbrachte.

Im Untersuchungsgefängnis bist du 23 Stunden im Zimmer. Eine Stunde darfst du raus. Erst als ich mich im Rahmen eines Briefes an die zuständigen Behörden wandte, konnte ich das Untersuchungsgefängnis verlassen.

Wie es dazukam, dass er so lange im Untersuchungsgefängnis sein musste, kann er sich nicht erklären.

Nach der Untersuchungshaft folgte die Strafhaft, in der sich Fahim insgesamt zwei Jahre und neun Monate befand.

Die Behörden dort sind die schlimmsten, was die Beantragung von frühzeitiger Entlassung aufgrund guter Führung sowie Urlaubsbewilligungen angeht. Ich bekam weder Urlaub zugesprochen, noch wurde ich wegen guter Führung früher entlassen. Das war jedoch nicht nur bei mir so, sondern bei den meisten anderen auch

schildert Fahim. Zwei Wochen vor Haftentlassung teilte man ihm mit, dass er zur Vorbereitung seiner Ausschaffung in die Ausschaffungshaft kommen würde. Seitdem kämpft Fahim für seine Freilassung. Ein Haftentlassungsgesuch, welches beim Appellationsgericht eingereicht wurde, wurde abgelehnt. Zwar besitzt Fahim – wie er uns erzählt – noch Hoffnung, jedoch werde diese von Tag zu Tag kleiner. Auf die Frage, was er machen würde, wenn er tatsächlich ausgeschafft wird, meint Fahim, dass er maximal drei Monate in Sri Lanka verbringen werde.

Danach werde ich nach Europa zurückkehren. Entweder nach Deutschland oder Österreich, wo ich mindestens fünf Jahre sein muss, bevor ich von dort in die Schweiz einreisen kann.

Kontakte in Österreich hat er schon, wie er berichtet. Er kennt dort einen Boxclub, der ihn gerne aufnehmen würde und ihm auch bei einer Stellensuche behilflich sein könte. Fahim sandte dem Boxclub Videos zu, die ihn beim Boxen zeigen.

Knast & Ausschaffung aus Fahims Blickwinkel

Für Fahim bedeutet ein B-Ausweis dasselbe wie ein F-Ausweis oder ein C-Ausweis. Sein jüngerer Bruder sowie sein Vater besitzen die C-Bewilligung, seine Mutter die B-Bewilligung. Weshalb die Mutter trotz Erwerbstätigkeit und langer Aufenthaltsdauer in der Schweiz keine C-Bewilligung kriegt, weiss er nicht. Sein älterer Bruder ist ebenfalls in Haft, auch ihm droht eine Ausschaffung. Vor fünf Jahren wurde ein Freund von ihm in die Elfenbeinküste ausgeschafft. «Dem geht es dort schlecht, da alle seine Angehörigen in der Schweiz sind», meint Fahim. Fahim ist der Meinung, dass eine Strafhaft unter Umständen Sinn macht. Gerade wenn es darum gehe, bei jemandem eine Einsicht herbeizuführen, könne eine Gefängnisstrafe angebracht sein. Als wir Fahim fragen, ob er sich selbst eine Gefängnisstrafe ausgesprochen hätte, antwortete er:

Ich habe viele Straftaten begangen. Viele, die selbst die Polizei nicht weiss. Für all diese Straftaten sind 4.5 Jahre gerechtfertigt. Eine solche Gefängnisdauer habe ich irgendwie verdient.

Dass jemand nach der Haft ausgeschafft werden soll, verstehe er hingegen nicht. Er kann nicht begreifen, wie man alles – selbst die Familie und die Freunde einer Person – wegnehmen kann. Zudem ist es für ihn absurd, für die Integration einer Person viel Geld zu investieren – nur um sie anschliessend auszuschaffen. Fahim betont, dass er sich in all den Jahren stark verändert und viel gelernt habe. Doch dies interessiere die Behörden nicht. Obwohl er keinen Bezug zu Sri Lanka habe, soll er dorthin abgeschoben werden. Nach 17 Jahren Leben in der Schweiz.

Ich habe meine Schuld bezahlt, die Haft abgesessen. Nun warte ich auf ein Wunder.

 

Politik und Perspektiven

Fahim hat sich – bevor er ins Gefängnis kam – nicht gross mit Knästen und Ausschaffungen auseinandergesetzt.

Solange du nicht in dieser Situation bist, erscheint dir das Ganze weit weg.

Fahim weiss nicht, ob er zukünftig gegen Repressionsmassnahmen eines Staates wie Knast oder Ausschaffung kämpfen möchte. Er geht davon aus, dass die Leute dann mit dem Finger auf ihn zeigen und ihn als Kriminellen bezeichnen würden. An eine Demo zu gehen, braucht für ihn viel Mut, da oftmals eine Konfrontation mit der Polizei stattfindet. Auch seine Freunde sind politisch nicht aktiv.

Wenn ich freigelassen werde, möchte ich nichts Anderes tun als Arbeiten, Boxen und die Zeit mit meiner Familie verbringen. Ich erwarte nichts Grossartiges mehr vom Leben.

Die Autorinnen dieses Artikels führten ein Gespräch mit Fahim und erstellten auf Grundlage des Gesagten den vorliegenden Text. Bezüglich des Textes war es Fahim ein Anliegen, von allem Gesagten das Wichtigste zusammenzufassen. Einen Schwerpunkt wollte er nicht setzen. Für das Gespräch dachten sich die Autorinnen Fragen zu unterschiedlichen Themenkomplexen aus. Vor dem Interview wurde Fahim die Möglichkeit angeboten, frei zu berichten. Fahim bevorzugte die Beantwortung der bereits ausgedachten Fragen. Die Autorinnen des vorliegenden Artikels setzen sich seit geraumer Zeit mit dem Bässlergut auseinander. Dabei geht es ihnen um die grundsätzliche Kritik des Gefängnisses. Die Kritik beruht auf der Ablehnung von Herrschaft der Einen über die Anderen.

Das Geschäft mit den Ausschaffungen

Ein Poltern an die Zellentüre des Gefängnisses Bässlergut kündigt die bevorstehende Ausschaffung an: Aren* macht sich bereit zum Widerstand. Weil er seine Zelle nicht verlassen will, versuchen ihn vier Polizisten aus dem kleinen Raum herauszuzerren und treten ihn mit ihren Schuhen. Verprügelt wird Aren, bis es den Polizisten möglich ist, ihm Fesseln anzulegen, die seine Hände und Füsse zusammenpressen. Als Letztes bekommt er einen Helm übergestülpt, man bringt ihn ins vor dem Gefängnis wartende Auto. Es folgt die Fahrt von Basel zum Genfer Flughafen, wo bereits der Sonderflug für die Level-4-Ausschaffung nach Liberia bereit steht.

Die zweite Ausschaffung

Angekommen in der Hauptstadt Monrovia kommt es zum Interview mit dem liberianischen Migrationsamt. Aren versucht, seine Ausschaffung im letzten Moment zu verhindern und erklärt, nicht aus diesem Land zu kommen. Schliesslich bezeichnet er sich als Nigerianer. Die Verneinung und Arens Bezeichnung als einem anderen Staat angehörig, führt zu Verwirrung in dem kleinen Büro, in welchem sich neben Aren nur die zuständige Person des liberianischen Migrationsamts befindet; die Schweizer Polizisten sind nicht zugelassen. Schliesslich weigern sich die Migrationsbehörden, ihn ohne klare Identitätsüberprüfung in das Land aufzunehmen. Ohne Einreiseerlaubnis einer Ausschaffungsmöglichkeit beraubt, fliegen die Polizisten mit Aren wieder denselben Weg zurück in die Schweiz. Hier angekommen wird ihm mitgeteilt, er sei nun frei. Aren wird zurück in die Asylunterkunft in Sissach gebracht. Dort untersucht ihn ein Arzt. Er stellt Verletzungen im Ohr, am Bein und Knie sowie den Händen fest und will Aren wegen seinen inneren Verletzungen im Spital untersuchen lassen. Dazu kommt es jedoch nicht mehr: Ein weiteres Mal wird Aren in der darauffolgenden Nacht klopfend geweckt und wiederum zurück ins Gefängnis Bässlergut gebracht. Er werde nun nach Nigeria ausgeschafft, wird ihm hier mitgeteilt. Eine zweite Ausschaffung in so kurzer Zeit sei unrealistisch, ist sich Aren sicher. Zum einen befindet er sich unmittelbar vor dem Ablauf der 18-monatigen Ausschaffungshaft. Laut geltendem Recht müsste er nach dieser Zeit aus der Haft entlassen werden. Zum anderen ist er sich sicher, dass niemand denkt, dass er Nigerianer sei. Denn als Aren sein Asylgesuch stellte, deklarierte er klar, Liberianer zu sein. Das schweizerische Migrationsamt glaubte ihm jedoch nicht und leitete stattdessen eine Befragung durch eine nigerianische Expertendelegation ein; eine nigerianische Staatsangehörigkeit verneinte diese jedoch.
Doch seine Hoffnung wird enttäuscht: Eine Woche später wird Aren mit einem Frontex Sammelflug nach Nigeria ausgeschafft. Obwohl es kein weiteres Interview mit der nigerianischen Botschaft gab, stellte diese lediglich aufgrund von Aussagen einer Drittperson ein Laissez-passer (Ersatzdokument) aus.

Migrationspartnerschaften

Laut der Asylstatistik des schweizerischen Staatssekretariats für Migration (SEM), ist Aren eine von 101 Personen, die im Jahr 2016 nach Nigeria ausgeschafft wurden. Damit liegt das Land, verglichen mit anderen afrikanischen Ländern, an erster Stelle, gefolgt von Tunesien mit 59 Ausschaffungen.

2011 schlossen die Schweiz und Nigeria eine Migrationspartnerschaft ab. Der Vertrag verpflichtet Nigeria mittels eines Rückübernahmeabkommens dazu, auch unfreiwillige Ausschaffungen zu akzeptieren.

2011 schlossen die Schweiz und Nigeria eine Migrationspartnerschaft ab. Der Vertrag verpflichtet Nigeria mittels eines Rückübernahmeabkommens dazu, auch unfreiwillige Ausschaffungen zu akzeptieren.
Neben Nigeria schloss die Schweiz solche Partnerschaften bereits mit Tunesien, Kosovo, Serbien sowie Bosnien und Herzegowina ab, diesen Oktober kam es zu ersten Vereinbarungen mit Sri Lanka. Ziel der Partnerschaften ist es, „die Zusammenarbeit im Migrationsbereich zu stärken sowie die illegale Migration und deren negative Folgen zu mindern“ (Art. 100 AuG). Neben dieser Definition sind im Ausländergesetz mögliche Abkommen, beispielsweise zur Visumspflicht und Grenzkontrollen, Ausschaffungen und beruflichen Aus- und Weiterbildungen aufgeführt.
Wie diese Abkommen konkret umgesetzt werden, ist unklar. Gesuche zur Einsicht in die mehrere tausend Dokumente umfassenden Vereinbarungen der zwischen der Schweiz und Nigeria abgeschlossenen Migrationspartnerschaft sind noch in Abklärung. Lediglich vereinzelte Medienmitteilungen des Bundesrates geben einen kleinen Einblick in die konkreten Umsetzungen dieser Partnerschaften. So wurde zum Beispiel in Zusammenhang mit der Migrationspartnerschaft ein Pilotprojekt zur Polizeizusammenarbeit lanciert, das Stage-Einsätze von nigerianischen Polizeibeamten in der Schweiz ermöglichte. Zudem wird die Migrationspartnerschaft zwischen der Schweiz und Nigeria insbesondere im Hinblick auf die  zusammen mit der Firma Nestlé realisierten „innovativen Migrationsprojekte“ gelobt. In einem Bericht des Bundesrates vom 2. Juli 2014 heisst es: „Als Beispiel sei die Zusammenarbeit zwischen dem BFM [heutiges Staatssekretariat für Migration] und Nestlé genannt. Dabei handelt es sich um eine öffentlich-private Partnerschaft, welche die fachliche Ausbildung von dreizehn jungen Menschen aus Nigeria unterstützt. Die fünf besten durften im Sommer 2013 ein Praktikum in der Schweiz absolvieren.“ Im Vergleich mit den Ausschaffungen ist es eine absurde Zahl, mit der hier die Migrationspartnerschaft in Zusammenarbeit mit Nestlé zu legitimieren versucht wird.

Nestlés Profit mit dem Wasser

Nigerias Wasserressourcen sind knapp: Durch den Klimawandel verursachte Dürren führen zu immer weniger fruchtbarem Boden. Die Folgen dieser Entwicklung sind vermehrte Konflikte um die übriggebliebenen Flächen und Migration aus ländlichen Regionen in Städte mit oft unzureichender Infrastruktur und Arbeit.
Von genau dieser Wasserknappheit profitiert Nestlé. Seit Jahren kauft der Schweizer Konzern in Nigeria Wasserrechte auf. Durch die Produktion des unter dem Namen „Pure Life“ verkauften Flaschenwassers würden Arbeitsplätze geschaffen und der Zugang zu sauberem Trinkwasser ermöglicht, heisst es in der offiziellen Erklärung. Jedoch klammern diese Darstellungen aus, dass die meisten Menschen in Nigeria sich das in Plastikflaschen verkaufte Wasser gar nicht leisten können. Durch die Privatisierung von Wasserrechten wird also dem grössten Teil der Bevölkerung der Zugang zu sauberem Wasser nicht erleichtert, sondern vielmehr verwehrt. Auf die Vorwürfe der profitgesteuerten Wasserproduktion angesprochen, meint Peter Brabeck-Letmathe, ehemaliger CEO und aktueller Präsident des Verwaltungsrates von Nestlé: „Wasser ist ein Lebensmittel. So wie jedes andere Lebensmittel sollte das einen Marktwert haben. Ich persönlich glaube, es ist besser, man gibt einem Lebensmittel einen Wert, sodass wir uns alle bewusst sind, dass das etwas kostet.“
Die Zusammenarbeit mit Nestlé, deren Privatisierung von Wasserrechten in Nigeria gut dokumentiert ist und die sämtliche existentiellen Realitäten nicht beachtet, als Exempel für den Erfolg einer Migrationspartnerschaft zu erwähnen, ist bezeichnend. Es ist ein Beispiel für die Doppelseitigkeit, mit Privilegien wie Reisefreiheit, Schutz und Berufsmöglichkeiten für eine kleine, ausgewählte Gruppe auf der einen und damit in Zusammenhang stehende verstärkte Repression gegenüber einer Mehrheit auf der anderen Seite. Die Migrationspartnerschaft zwischen der Schweiz und Nigeria institutionalisiert somit nicht nur eine unmenschliche Ausschaffungspraxis; vielmehr wird dadurch eine profitwirtschaftliche Logik unterstützt, die den Alltag des grössten Teiles der Bevölkerung prekarisiert und somit eine Ursache für Migration darstellt.

Ausschaffungslevels
Art. 28 der Zwangsanwendungsverordnung sieht folgende Vollzugsstufen vor:
Vollzugsstufe 1: Die rückzuführende Person hat einer selbstständigen Rückreise zugestimmt. Sie wird von der Polizei bis zum Flugzeug begleitet; die Rückreise erfolgt ohne Begleitung;
Vollzugsstufe 2: Die rückzuführende Person hat einer selbstständigen Rückreise nicht zugestimmt. Sie wird in der Regel durch zwei Polizistinnen oder Polizisten in Zivil begleitet. Sofern nötig, können Handfesseln eingesetzt werden;
Vollzugsstufe 3: Es ist zu erwarten, dass die rückzuführende Person körperlichen Widerstand leistet, der Transport mit einem Linienflug ist jedoch möglich. Die rückzuführende Person wird in der Regel von zwei Polizistinnen oder Polizisten in Zivil begleitet. Bei der Rückführung können Handfesseln und andere Fesselungsmittel sowie körperliche Gewalt eingesetzt werden;
Vollzugsstufe 4: Es ist zu erwarten, dass die rückzuführende Person starken körperlichen Widerstand leistet; für den Transport ist ein Sonderflug nötig. Jede rückzuführende Person wird von mindestens zwei Polizistinnen oder Polizisten begleitet. Es dürfen die gleichen Zwangsmittel eingesetzt werden wie bei der Vollzugsstufe 3.
Vollzugstufe 1 entspricht der umgangssprachlichen „selbstständigen Ausreise“, Vollzugsstufe 2 der „kontrollierten Rückführung“, Vollzugsstufe 3+4 dem „Sonderflug“.

Quelle
Dieser Text entstand nach der Begegnung mit der erwähnten Person im Ausschaffungsgefängnis. Wie es ihr heute geht, weiss die schreibende Person nicht: Jeglicher Kontakt ist nach der Ausschaffung abgebrochen.
Für Informationen zu Nestlés Wasserinvestitionen

Weitere Drittstaat-Ausschaffung in Basel

Mitte November 2016 wurde ein junger Mann mittels eines Sonderflugs* nach Guinea  deportiert. Auf dem Flug befanden sich ungefähr zwanzig weitere Menschen, die nach Guinea und Gambia ausgeschafft wurden. Während des gesamten Fluges waren sie am ganzen Körper gefesselt und auf einen Rollstuhl fixiert. Begleitet wurden sie dabei von einer Entourage von über vierzig Personen: Polizist*innen; Mitarbeiter*innen des Migrationsamtes sowie Mitarbeiter*innen der Antifolterkomission.
Oumar lebte als illegalisierter Mensch jahrelang in der Schweiz und wurde bei einer Personenkontrolle festgenommen, da er keinen gültigen Ausweis vorweisen konnte. Während seiner Zeit im Knast hat Oumar sich mehrmals seiner Ausschaffung widersetzt. In seinem Heimatland drohen ihm Folter und eine weitere Inhaftierung. Zum Zeitpunkt der Ausschaffung befand sich Oumar – mit Unterbrüchen – seit über 17 Monaten in Ausschaffungshaft. Da die maximale Dauer dieser Haft in der Schweiz auf 18 Monate beschränkt ist, war dieser Ausschaffungsversuch für die Schweiz die letzte Chance, ihn auszuschaffen.

* Art. 28 der Zwangsanwendungsverordnung sieht folgende Vollzugsstufen vor:
Vollzugsstufe 4 (Level 4): Es ist zu erwarten, dass die rückzuführende Person starken körperlichen Widerstand leistet; für den Transport ist ein Sonderflug nötig. Jede rückzuführende Person wird von mindestens zwei Polizistinnen oder Polizisten begleitet.

Quelle

** 1. Die Vorbereitungs- und die Ausschaffungshaft nach den Artikeln 75-77 sowie die Durchsetzungshaft nach Artikel 78 dürfen zusammen die maximale Haftdauer von sechs Monaten nicht überschreiten.
2. Die maximale Haftdauer kann mit Zustimmung der kantonalen richterlichen Behörde um eine bestimmte Dauer, jedoch höchstens um zwölf Monate, für Minderjährige zwischen 15 und 18 Jahren um höchstens sechs Monate verlängert werden, wenn:

a. die betroffene Person nicht mit der zuständigen Behörde kooperiert;
b. sich die Übermittlung der für die Ausreise erforderlichen Unterlagen durch einen Staat, der kein Schengen-Staat ist, verzögert.

Quelle