An den Strukturen der Verhältnisse rütteln

In den folgenden Abschnitten werden einige widerständige Aktionen und Formen des Protestes aufgelistet. Die Auswahl ist weder umfassend noch repräsentativ. Es ist eine laufende Arbeit, auf der Suche nach dem, was es so gibt, um inspiriert zu werden und um selbst mehr Klarheit zu bekommen. Wen und was will mensch erreichen? Was sind Potentiale und Konsequenzen von verschiedenen Aktionen? Was ist im Rahmen der eigenen Ideologie oder den zur Verfügung stehenden Mitteln möglich? Welche andere Kontexte gibt es – wie ändert sich dabei die Aktion? Schlussendlich soll es uns bestärken, uns als Teil einer Welt zu wissen, in der nicht alle gleich denken und handeln – und viele den Mut haben, etwas gegen Regime und bestehende Ordnungen in die Welt zu setzen.
Die Beispiele betreffen nicht alle direkt das Migrationsregime, sondern auch den Widerstand gegen die Strukturen unserer Gesellschaft, die ein solches Regime ermöglichen. Ich bewerte die Beispiele unterschiedlich, habe aber, um der Vielfalt willen, unterschiedlich motivierte Aktionen und Menschen mit verschiedenen Handlungsspielräumen, Mitteln und Zielen aufgelistet. Die Beschreibungen sind nicht meine eigenen Interpretationen, sondern sinngemäss aus Selbstbeschreibungen sowie anderen Artikeln und Berichten übernommen. Es wird nur wenig Information geliefert, dafür gibt es zusätzliche Links. Alle können selbständig recherchieren, was sie interessiert.

 

Protest- und Aufstandswelle im Moira Camp
Am 20. Oktober 2017 startete eine Protest- und Aufstandswelle im Moira Camp in Lesbos aufgrund der untragbaren Bedingungen. Jede Woche werden 7 – 20 Personen in die Türkei ausgeschafft. Es gibt zu wenig Anwälte für die Rechtsvertretung der geflüchteten Menschen. Die Menschen stecken auf der Insel fest, die Zelte des Camps sind nicht wasserdicht und die medizinische Versorgung ungenügend. Also haben sich einige für einen Hungerstreik zusammengeschlossen und den Sappho Square in Lesbos besetzt. Der Protest dauerte 33 Tage und wurde regelmässig von Polizeigewalt gestört.  Einige Protestierende wurden ausgeschafft. Und so gehts weiter.
Briser les frontière
Briser les frontières ist der Name für ein grenzübergreifendes Netzwerk von Menschen in der Gegend der Grenze von Italien und Frankreich. Ihr Ziel ist es, die Grenzen aufzubrechen und einen Kampf gegen profitorientierte, naturverwüstende und Menschenleben ignorierende Interessen zu führen. Es wurden bereits illegalisierte Menschen tot oder mit erfrorenen Gliedmassen in der Gegend gefunden. Briser les frontières veranstalten Protestmärsche entlang der Grenze und leisten Nothilfe.
Hungerstreik auf dem Syntagma Square, Athen
Vom 1. – 14. November 2017 gab es einen Hungerstreik auf dem Syntagma Square in Athen. Sieben Frauen und Sieben Männer fasteten, um auf die Verzögerung in der Familienzusammenführung aufmerksam zu machen. Sie sitzen länger als 6 Monate auseinandergerissen fest, wogegen sie mit dem Hungerstreik ein Zeichen setzen wollten. Es wurde eine Pressekonferenz organisiert. Einige der Protestierenden wurden in das Spital eingeliefert. Nach 15 Tagen endete der Streik wie geplant. Es ist nicht bekannt, ob der Streik einen Effekt auf das Anliegen der Hungernden hatte.
http://hungerstrike.commonstruggle.eu/
Festivals gegen Militarisierung in der Türkei
Militourism festivals organisiert Festivals gegen Militarisierung in der Türkei seit 2004. Dabei werden Tourismus, Spektakel und Anti-Politik ironisch nebeneinandergestellt. Zudem werden Orte und deren Geschichtsschreibung bei Touren, Protesten und Ausstellungen besucht.
Clandestine Insurgent Rebel Clown Army
Clandestine Insurgent Rebel Clown Army ist eine Gruppe, die sich an Demonstrationen mit armeeartigen Clownanzügen verkleidet, um sich über Autoritäten lustig zu machen. Ebenso gibt es die Praxis, sich in Pink und Silber als Cheerleader zu verkleiden. Beide Taktiken versuchen Verwirrung zu stiften und feste Kategorien so wie kulturelle Codes über den Haufen zu werfen (weiblich-männlich, gewaltlos-gewalttätig, usw.).
Kommunikationsguerilla und culture jamming
Kommunikationsguerilla und culture jamming sind beides Strategien, um mittels Sprache Verwirrung zu stiften und Festgefahrenes zu hinterfragen/zerstören. Adbusting ist eine Form der Kommunikationsguerilla. Dabei werden Logos oder Werbungen leicht verändert. Ein einfaches Beispiel ist das Übermalen des “S“ von Shell. Das Logo ist nach wie vor erkennbar, doch es heisst nun hell (Hölle) und nicht mehr Shell, was auf die Geschäftspraxis des Grosskonzerns hinweist.
https://www.metronaut.de/2012/05/medienhacking-im-wandel-kommunikationsguerilla-politischer-aktivismus/
Immigrant Movement International
Tania Bruguera Fernández ist eine kubanische Artivistin. Sie hat viele Aktionen auf ihrer Webseite dokumentiert. Als Teil der Gruppe „Immigrant Movement International“ hat sie beispielsweise Unterschriften gesammelt für einen offenen Brief an Papst Franziskus, um ihn aufzufordern, benachteiligten Menschen die vatikanische Staatsbürgerschaft zu gewähren.
Afghan Refugees Movement
Afghan Refugees Movement ist eine unabhängige Gruppe in Frankfurt, die sich gegen Ausschaffungen nach Afghanistan wehrt. Sie organisieren regelmässig Demonstrationen. Die letzte fand am 6.12.17 direkt am Flughafen Frankfurt statt, wo 500 Menschen gegen die Ausschaffung von 27 Menschen nach Afghanistan protestierten. Die Gruppe organisiert auch andere Veranstaltungen, wie Vorträge oder Gruppentreffen.
Center for Tactical Magic
Das Center for Tactical Magic engagiert sich in der Bildung und Störung von Macht durch die Verwendung von Geschichten, Symbolen und Bildern. Ihr Ziel ist die Emanzipierung von Menschen, um sich ihre eigene Lebensrealität zu schaffen. Auf ihrer Webseite gibt es verschiedene Anleitungen, wie der Alltag gestört werden kann.
Berlin Umsonst
Die Gruppe Berlin Umsonst hat falsche Tickets des Berliner öffentlichen Verkehrs gedruckt und verteilt – öffentlicher Verkehr sollte für alle umsonst sein. Ausserdem wollten sie auf die rassistisch-kriminellen Assoziationen des Begriffs “Schwarzfahren” hinweisen und haben ihre Aktion Pinker Punkt genannt. Früher gab es auch den roten Punkt:
http://www.linkfang.de/wiki/Roter-Punkt-Aktion
Kein Mensch ist illegal
Die Gruppe Kein Mensch ist illegal verband sich gegen die Komplizenschaft der Fluggesellschaft Lufthansa mit dem Staat bei der Ausschaffung von Menschen. Die Kampagne startete mit einer Image-zerstörenden Aktion, bei der sie mit einer neuen Budgetklasse namens „Deportation class“ Werbung für die Lufthansa machte. Das wären Sitze neben Menschen in Handschellen und Klebeband über dem Mund – die Preise sind dafür günstiger. Sie verwendeten Flyer, hackten die Webseite der Lufthansa, tauchten an der GV und bei Pressekonferenzen der Lufthansa auf und performten Ausschaffungen am Flughafen. Sie erreichten zwar nicht die Verhinderung von Ausschaffungen an sich, doch die Lufthansa führt keine Ausschaffungen mehr durch.
The Space Hijackers (Die Raum Entführer)
The Space Hijackers (Die Raum Entführer) irritierten bis 2014 den öffentlichen Raum in London. Sie kämpfen gegen die Beeinträchtigung des kollektiv geteilten Raumes durch Organisationen, Stadtplaner*innen und andere Schelme. Beispielsweise haben sie es strategisch ausgeklügelt geschafft, in eine Waffenhandelsmesse mit einem Panzer einzubrechen und ihn dort zu versteigern. Auf ihrer Webseite haben sie eine umfangreiche Dokumentation all ihrer Aktionen aufgeführt: Zum Beispiel ein Onlinetest: https://spacehijackers.org/amIananarchist/index.html
Biotic Baking Brigades
Die Biotic Baking Brigades ist ein loses Kollektiv, das berühmten Menschen, die „Verbrechen gegen Menschen und Land verüben“, Kuchen ins Gesicht wirft. Es schreibt auf seiner Webseite: “Dieses Aufbäumen hat seine Wurzeln nicht im Glauben, dass unser Planet stirbt, sondern er wird getötet und die, die das Töten verursachen, haben Namen und Gesichter.“
https://web.archive.org/web/20030622231356/ http://www.bioticbakingbrigade.org:80/index.html
Festival über unkonventionelle Kunst, bei dem sie auftraten:
http://theinfluencers.org/en/biotic-baking-brigade 
Das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS)
Das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) in Berlin ist ein Zusammenschluss von Aktionskünstlern, die im Namen des „aggressiven Humanismus’“ diverse Aktionen in Deutschland und der Schweiz inszenieren. Eine Aktion nannte sich „Europäischer Mauerfall“. Dabei wurden bei einer Gedenkstätte für die Toten an der Berliner Mauer die Kreuze abmontiert und für den 25. jährigen Gedenktag des Mauerfalls zu ihren Brüdern und Schwestern an die EU-Aussengrenze gebracht. Provokation und Aufruhr ist das Mittel ihrer Aktionen. Die empörten und angriffigen Zeitungsartikel, die über die verschiedenen Aktionen verfasst wurden, schmücken wie Trophäen die Webseite des ZPS.  Interview mit einem Aktivisten:
https://www.vice.com/de/article/znk3vw/die-neuen-mauertoten-europas-772
Proteste gegen Treffen der Weltbank und des IWF in Prag
Im September 2000 fanden Proteste gegen Treffen der Weltbank und des IWF in Prag statt. Der Schwarze Block von ungefähr 5000 Menschen hatte riesige blaue Bälle dabei. Darauf stand in oranger Schrift „Balls to the IMF“. Der Plan war die Belagerung des Treffens, doch, wie erwartet, verunmöglichte die zahlreiche, schwer bewaffnete Polizei das Vorhaben. Das Gefecht ging los, die Wasserwerfer wurden eingesetzt – das ist der Moment der Bälle. Sie verkörperten die Vorhersehbarkeit der Repression, sind eine scherzhafte Vorwegnahme, was passieren würde, die Vorbereitung auf die Front und der Versuch eines spielerischen Umgangs damit. (Interpretation von Christian Scholl) Folgende zwei Filme zeigen die Verwendung der blauen Bälle. https://www.youtube.com/watch?v=iXn6Kv6_pqw, https://www.youtube.com/watch?v=GIVvBF_7JDo
Gemälde als Barrikaden
1849 gab es in Dresden einen sozialistischen Aufstand, der von preussischen Truppen bedroht wurde. Mikhail Bakunin schlug vor, Gemälde aus den nationalen Museum zu benutzen um sie vor die Barrikaden zu hängen. So sollten die bürgerlichen Gefühle provoziert werden und ein Angriff verhindert werden. Der Vorschlag setzte sich nicht durch, nicht alle wollten damals die Kunst instrumentalisieren.
Aus dem Sammelband Cultural Activism – herausgegeben von Begüm Özden Fırat and Aylin Kuryel.
Tute Bianche (Die Weissen Overalls)
Tute Bianche (Die Weissen Overalls) entstanden aus einer Repressionswelle in Italien. Die Aktivisten haben mit Kissen ausgefüllte weisse Overalls getragen, um sich vor Polizeigewalt zu schützen und an Orte zu gelangen, die gewaltsam abgeschottet werden. Sie wollten soziale Konflikte sichtbar machen – aufzeigen, wer Gewalt ausübt und damit trotzdem die Mächtigen konfrontieren. Das Bild eines ausgepolsterten, sich schützenden Aktivisten gegenüber einem massiv bewaffneten Polizisten spricht für sich selbst. Sie haben bei einem Protest in Barcelona Plexiglasschilder benutzt, auf die sie Bilder von Kindern klebten, wie sie auf Spendeaufrufen abgebildet sind.
https://www.nadir.org/nadir/initiativ/agp/free/tute/
https://www.azzellini.net/zapatisten/die-tute-bianche-weisse-overalls
Zwarte Piet is Racisme
Das Projekt Zwarte Piet is Racisme wurde 2013 in Amsterdam ins Leben gerufen. Dabei wird die Tradition vom Schwarzen Peter, dem Begleiter des Sinterklas, als rassistisch angeprangert. Das Projekt hat eine breite mediale Beachtung gefunden und wurde emotional-kontrovers diskutiert. Sie haben das Logo „Zwaarte Piet is Racisme“ auf T-Shirts gedruckt, Diskussionen und Proteste veranstaltet, sowie eine gefälschte UN Meldung herausgegeben, in der es hiess, dass eine Rassimusanklage gegen die niederländische Regierung abgeklärt wird.
Proteste Lampedusa
Seit über 10 Jahren finden auf Lampedusa immer wieder Proteste von vielen geflüchteten Menschen statt. Im Januar 2009 haben sie dabei das „eigene“ Flüchtlingslager angezündet. Sie fordern die Möglichkeit, sicher zu reisen und an den Bestimmungsort gehen zu können, den jede*r selbst wählt. Die Gruppe Askavusa Lampedusa informiert darüber und stellt konkrete Forderungen in Form von Appellen an die Staatsorgane. Ausserdem führt sie einen Blog und begleitet einzelne Menschen dabei, ihre Rechte einzufordern. Am 2.1.2018 haben sie in einem Haus in der Nähe des Hotspots einen Mann hängend gefunden – die letzte Form des Protest. Sie sagen: „Das ist das extremste Ereignis einer Serie von Selbstschädigung, die die zum Bleiben Gezwungen sich selbst angetan haben.“
https://medium.com/@AreYouSyrious/ays-daily-digest-05-01-2018-the-trickle-down-effect-d957f1623b03
NOBESE action group
Die NOBESE action group wurde 2005 geformt, um gegen die Überwachung in Istanbul in Aktion zu treten. Es wurden Flugblätter bei der Eröffnung des neuen Überwachungssystems verteilt und Strassenaktionen durchgeführt, in denen Überwachung und Kontrolle in Performances auf der Strasse gezeigt wurde. Die Kameras wurden fotografiert und mit Ferngläsern betrachtet und Stickers “evil eye” verteilt. Die Aktionen wurden mit Musik begleitet, um möglichst viel Aufmerksamkeit im öffentlichen Raum zu erzielen.
Theater der Unterdrückten, Unsichtbares Theater
Beim Theater der Unterdrückten werden Situationen, in denen Menschen nicht handlungsfähig sind, nachgespielt und gemeinsam neugestaltet. Daraus ist später das Unsichtbare Theater gewachsen. Dabei werden im öffentlichen Raum Situationen inszeniert, die auf politische Themen hinweisen und den unwissenden Beteiligten eine Erfahrung ermöglichen. Das unsichtbare Theater entwickelte sich, weil offener Protest aufgrund der Repression nicht möglich war.
Weiteres zum Nachlesen
-Weitere Bücher zu kreativen Interventionen:

https://www.goodreads.com/book/show/755962.The_Interventionists
-Handbuch der Kommunikationsguerilla, das verschiedene Formen davon beschreibt und diskutiert:
http://kommunikationsguerilla.twoday.net/topis/a.f.r.i.k.a.-texte/
Die Siuationisten und Dadaisten, die es leider nicht mehr in die Liste geschafft haben.
http://library.nothingness.org/articles/SI/en/
-Anarchistische Rezeptbücher:
https://de.scribd.com/doc/11251441/The-Anarchist-Cookbook-by-William-Powell-1971
http://bnrg.cs.berkeley.edu/~randy/Courses/CS39K.S13/anarchistcookbook2000.pdf
https://crimethinc.com/books/recipes-for-disaster
-Ein Podcast zu der „Hedonistischen Internationalen“:
https://cre.fm/cre185-hedonistische-internationale
-Werk, das weitere direkte Aktionen erklärt und diskutiert:
Direkte Aktion von David Graeber

Bei der Erarbeitung der Liste hat die Autorin darüber nachgedacht, dass es gut ist, ein Bewusstsein zu haben, was mensch will: provozieren – auf was hinweisen – Gefühle ausleben – sich organisieren und Banden bilden – Verhältnisse zu dekonstruieren – nach Alternativen zu suchen – Utopien leben – viel mediale Aufmerksamkeit für ein Thema – sich einem Thema einfach irgendwie zuwenden und einfach irgendwas damit machen – Solidarität zeigen – eine Debatte entfachen – ein konkretes Ziel verfolgen – parallele Organisationen und alternative Wege im bestehenden System schaffen – die Lebensbedingungen im gegebenen Strukturen / Situationen verbessern. Weiter stellt sich die Schwierigkeit der Übereinstimmung von Zweck und Aktion, die Ungerechtigkeit in den unterschiedlichen Handlungsspielräumen, der Konflikt zwischen Absicht und Ergebnis, das Verhältnis und die Wahrnehmung im Einsatz von verschiedenen Mitteln in gegebenen Kontexten, die Instrumentalisierung der Situation gegen die mensch sich wehrt – oder ob damit das eigentliche Ziel oder die Ideologie sabotiert wird – und weshalb das dann so ist. Sie hofft, dass sich Leser*innen von den Beispielen, die passen, für eigene Aktionen inspirieren lassen, oder – noch besser – bei dem, was nur so halb gefällt, weiterdenken, wie es verändert werden müsste, damit es für sie Sinn ergibt.

Migration in kontrollierte Bahnen lenken 1 „Migration Management“ und die IOM

Ich wurde einmal mit der Frage konfrontiert, warum sich meine Kritik am Migrationsregime oft auf eine Kritik an Nationalstaaten, Grenzen, Kapitalismus, Herrschaft, usw. beschränkt. Die „International Organization of Migration“ (IOM) sei eine richtig wüste Organisation, welche es genauso verdient hätte, in den Fokus von Widerstand zu geraten. Natürlich gab und gibt es viele Menschen, welche sich mit der IOM auseinandergesetzt haben, Wissen gesammelt haben und Kritik an ihr üben. Ich fühlte mich ertappt und hatte Lust, mich mit der IOM auseinanderzusetzen, da sie als ein weiterer Akteur auf die Migrationspolitik von Staaten Einfluss hat.

Die rassistischen Polizeikontrollen von Menschen mit dunkler Hautfarbe sehe ich als eine systematische Praxis, nicht weil ich davon ausgehe, dass alle Bullen Nazis sind, (obwohl es wohl sehr viele davon bei den Bullen hat), sondern aufgrund ihrer Häufigkeit und dem offensichtlichem Ziel, diesen Menschen das Leben in der schweiz zur Hölle zu machen. Das Wort Systematik bekam für mich eine weitere Bedeutung, als ich las, dass diese Praxis Teil eines Konzeptes ist, welches seit ca. 20 Jahren international immer beliebter wird. Das Konzept heisst „migration management“ und gilt als Konsens westlich-liberaler Staaten, wie mit Migration umgegangen werden soll. Die IOM spielt eine wichtige Rolle in der Verbreitung und Umsetzung dieses Konzeptes, das sie eine „globale Strategie“ nennt. Dieser Text soll ein Versuch sein, sich dem Konzept und der IOM zu nähern und einige Gedanken darüber zu teilen.

Das „migration management“

Das „migration management“ wurde hauptäschlich von der IOM entwickelt, mit dem Ziel, die staatliche Kontrolle über die Bewegung von Menschen radikal zu modernisieren, indem in den verschiedenen Ländern2 und für die verschiedenen Formen von Migration eine einheitliche Verwaltung angestrebt wird. Trotz den vielen individuellen Gründen, ein Land zu verlassen, unterscheidet die IOM nur drei Formen der Migration: legale, illegale und erzwungene Migration.

Was ist die IOM?
Die IOM wurde 1951 im Kontext des Kalten Krieges auf Initiative westlicher Staaten hin gegründet. 1952 hiess die Organisation noch „Zwischenstaatliches Komitee für europäische Auswanderung“. Sie sollte die Migration nach dem Zweiten Weltkrieg ökonomisch und politisch „sinnvoll“ organisieren und siedelte in den 1950er-Jahren fast eine Million Menschen um. Mit der Zeit wurde sie immer grösser und wird heute als die „führende zwischenstaatliche Organisation im Bereich Migration“ gefeiert. Die IOM hat 166 Mitgliederstaaten, wobei ihr Sitz, wie bei so vielen anderen internationalen Organisationen auch, in Genf liegt.

Das Konzept ist eine Reaktion darauf, dass die westlichen Staaten in den 1980er- und zu Beginn der 1990er-Jahre das Gefühl hatten, dass ihre staatlichen Kontrollapparate die Migration nicht mehr wie gewünscht unter Kontrolle hatten. Es waren Bürgerkriege in afghanistan oder angola, die von westlichen Staaten aufgezwungenen neoliberalen Reformen wie Strukturanpassungsprogramme, jahrelange wirtschaftliche Ausbeutung, politische Repression oder einfach das legitime Interesse von Menschen, bessere oder andere Lebensumstände zu finden, die zu Migrationsbewegungen führten, denen sich die westlichen Staaten nicht mehr gewachsen fühlten. Neben Anderen stellte sich auch die IOM gegen Stimmen, die sich für eine komplette Abschottung gegenüber jeglicher Einwanderung aussprachen. Stattdessen sprach sie von den Chancen der Migration, wenn es den Staaten gelinge, die Vorteile der Migration zu maximieren und die negativen Folgen zu minimieren.

Was mit positiv und negativ gemeint ist, entspricht ganz der neoliberalen Logik: Es wird unterschieden zwischen „nützlichen“ und „nutzlosen“ Migrant*innen, bezogen auf ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit. Als nützlich werden Migrant*innen angesehen, welche der kapitalistischen Produktion als billige Arbeitskräfte oder als gut ausgebildete Spezialist*innen dienen können. Als nutzlos jene, die keinen Platz in der Wirtschaft haben und deshalb illegalisiert werden. Letztere sind dem Jagdtrieb der Bullen oder der Grenzwache ausgeliefert, werden eingesperrt und gewaltvoll ausgeschafft. Für die IOM ist Migration also nicht per se eine Gefahr für die Sicherheit und Stabilität eines Staates, sondern kann in bestimmten Formen wirtschaftlich lukrativ sein und soll darum gefördert werden.
Um gleichzeitig den positiven Nutzen aus den einen Menschen zu ziehen und die unerwünschten Menschen effektiv abwehren zu können, muss nach Angaben der IOM Ordnung in das Thema Migration gebracht werden und zwar international auf kohärente Weise. Das Herzstück des „migration management“ ist eine Kategorisierung anhand welcher jeder Staat die Menschen schön ordentlich einstufen kann.

1. Legale Migration, welche unterstützt werden soll:

Hochqualifizierte Arbeitskräfte, Tourist*innen oder Student*innen sind ökonomisch erwünschte Zuwanderer*innen und erhalten vereinfacht ein Visum und weitere Privilegien.

2. Illegale Migration3, welche bekämpft werden soll:

Ein Mensch, welcher nach der Genfer Konvention nicht als „Flüchtling“ anerkannt wird, wird illegalisiert. Dieser Mensch ist ökonomisch unerwünscht, hat keine Möglichkeit, legal zu arbeiten oder zu wohnen und lebt immer mit der Gefahr, in Haft gesteckt und ausgeschafft zu werden.

3. Erzwungene Migration, welche Schutz erhalten soll:

Offiziell anerkannten „Flüchtlingen“ sollen vom Staat geholfen werden. Dadurch kann das selbstkonstruierte Bild des humanitären Handelns in westlichen liberalen Staaten bewahrt werden.

Die IOM ist jener Akteur auf internationaler Ebene, der das „migration management“ am stärksten vorantreibt. Alle Programme der IOM entsprechen diesem Konzept. Die zugrundeliegende Denklogik, Migration entlang von wirtschaftlichen Prinzipien zu organisieren, ist in allen Programmen dieselbe.
Die IOM bildet zum Beispiel Grenzwärter*innen für eine Perfektionierung des Grenzregimes aus, führt sogenannte „freiwillige Rückkehrprogramme“ durch (also Ausschaffungen), hilft Staaten bei der weltweiten Vermittlung von hochqualifizierten Arbeitskräften oder betreibt Informationskampagnen mit dem Ziel, potentielle Migrant*innen abzuschrecken.

Die Macht und der Einfluss der IOM auf die Migrationspolitik

Die Finanzierung der IOM findet durch die Mitgliedstaaten statt. Es wird allerdings unterschieden zwischen einem administrativen Teil, in den alle einzahlen müssen und einem operationellen Teil, welcher die Durchführung der Migrationsprogramme beinhaltet, in den die Mitgliedstaaten freiwillig einzahlen können. Die Liste der Spenderstaaten für den operationellen Teil im Jahr 2016 zeigt, dass die usa mit 533 Millionen US- Dollars mit Abstand am meisten Geld einzahlt. Darauf folgen england, kanada, deutschland, australien, schweden und die eu, die kein Mitglied ist. Die schweiz beteiligte sich im selben Jahr mit 6 699 200 US-Dollars an den Programmen der IOM.4

Es sind alles Staaten, welche ein grosses Interesse daran haben, Migration zu beschränken, und wohl auch am meisten von den Programmen der Organisation profitieren. Diese Wohlstandsstaaten5 verdienten ihr Geld hauptsächlich durch die jahrelange Ausbeutung, Unterdrückung und Zerstörung von Lebensräumen in anderen Ländern. Gleichzeitig besitzen sie die Arroganz, ihre Werte und Normen als universal gültig zu erklären und anderen Staaten aufzuzwingen.

Eine „International Organization“ (IO) soll die Kooperation zwischen Staaten vereinfachen, so lautet oftmals die Begründung für die Existenz einer IO. So auch bei der IOM: „IOM works (…) to promote international cooperation on migration issues,…“. Klar kann von Kooperation gesprochen werden, dann wäre aber auch die Verhandlung über den Zugang zum Wassertrog zwischen dem Wolf und dem Schaf Kooperation. Meiner Meinung nach ist eine IO wie die IOM ein Instrument, mit dem die westlichen Staaten ihre Normen und Werte universal durchzusetzen versuchen. Die Resultate dieser angeblichen Kooperation widerspiegeln die herrschenden Machtverhältnisse zwischen Staaten. Zum Beispiel kann über die IOM Druck auf die Herkunftsstaaten von Migrant*innen ausgeübt werden, ihre eigene Migrationspolitik am Ansatz des „migration management“ zu orientieren, ohne dass den westlichen Staaten die Verletzung des Souveränitätsrecht vorgeworfen werden kann. Dies geschieht zum Beispiel beim „African Capacity Building Centre“ (ACBC) der IOM. Dieses Zentrum ist dafür da, afrikanischen Staaten bei allen Fragen rund um „migration management“ zu helfen. Konkret werden Trainings zur Vereinheitlichung der Grenzkontrollen, zur Bekämpfung von Menschenschmuggel und der Kontrolle von Pässen durchgeführt.

Es gibt auch Stimmen, welche IOs als vollkommen eigenständige Akteure mit eigener Macht sehen, welche unabhängig von den Interessen der Staaten handeln. Ich denke zwar nicht, dass die IOM ein pures Instrument ist, doch wenn von der IOM als eigenständiger Akteur gesprochen wird, können sich Staaten aus der Verantwortung ziehen und gewisse Migrationsarbeiten, welche gegen internationales Recht oder UN-Konventionen verstossen, an die IOM auslagern. Sie können dann weiter das Bild eines die Menschenrechte achtenden, humanitären und rechtsstaatlichen Staates zeichnen und mit dem Finger auf andere zeigen, ohne ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Es gibt genügend Beispiele die aufzeigen, dass die westlichen Staaten einen Kack auf die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ oder das Völkerrecht geben, doch wenn die Möglichkeit besteht, dies zu kaschieren, wird das gerne gemacht.
Ob Internationale Organisationen nun Instrumente von Staaten oder eigenständige Akteure sind, mit dieser Frage beschäftigen sich Männer und Frauen aus wissenschaftlichen Kreisen zur Genüge. Ich habe eigentlich keine Lust darauf, Position zu beziehen und mich einer Theorie anzuschliessen, nur, um danach zu meinen, die Welt erklären zu können.

Die „freiwillige Rückkehr“

Je länger ich mich jeweils mit der internationalen Ebene und seinen Akteuren auseinandersetze, desto mehr kommt sie mir wie ein zynisches Spielfeld für verschiedenste Akteure (Staats-männer und frauen, IO, NGOs, wirtschaftliche Interessengruppen usw.) vor. Doch bei der theoretischen Auseinandersetzungen mit Migrationsmechanismen geht vergessen, dass all dies konkrete Auswirkungen auf die Lebensrealität zahlreicher Menschen hat. Vielleicht werden diese Auswirkungen besser sichtbar, wenn ich ein bestimmtes Programm der IOM vorstelle: „die freiwillige Rückkehr.“ Ausschaffungen gelten als staatlich autorisierter Umgang mit Menschen, welche keine Staatsbürger*innen sind, sich aber auf staatlichem Territorium befinden. Ausschaffungen sind in westlichen Staaten sehr beliebt, da damit Migrant*innen mit einem negativen Asylentscheid aus dem eigenen Staatsgebiet verbannt werden können. Trotz der Legitimität dieser Praxis ist sie nicht die eleganteste Art eines angeblich humanitären Staates wie der schweiz, da sie erzwungen und gewaltvoll ist und somit zu unschönen Geschichten und Bildern führt.
Die IOM bietet den Staaten eine alternative Vorgehensweise an, die besser klingt: „Freiwillige Rückkehr und Reintegration“. Die Grundidee ist, dass über finanzielle Anreize und technische Unterstützung die Mitwirkung der Migrant*innen bei ihrer eigenen Ausschaffung erreicht werden kann. Damit soll nach Angaben der IOM:

„..den Migrantinnen und Migranten, die nicht im Aufnahmeland bleiben können oder wollen, (…) eine menschenwürdige Rückkehr und Reintegration in ihrem Heimatland ermöglicht werden.“

Es wird als eine „win-win Situation“ verkauft: Die Migrant*innen bekommen durch die finanzielle Rückkehrhilfe eine Lebensperspektive in ihrem Herkunftsland und für den Staat ist es eine kostengünstige Alternative zur „Zwangsausschaffung“.
In der schweiz bekommen Migrant*innen bei einer freiwilligen Rückkehr direkt aus dem „Empfangs- und Verfahrenszentrum“ (EVZ) 500.-. Nach einem Aufenthalt über 3 Monate in der schweiz sind es 1000.-. Zudem besteht die Möglichkeit, materielle Zusatzhilfe von bis zu 3000.- für ein sogenanntes „Eingliederungsprojekt“ im Herkunftsland zu erhalten. Zum Beispiel für den Aufbau einer Bäckerei oder eines Kiosks.

Die IOM führt diese Rückführungen nicht komplett selbstständig durch, sondern bietet den Staaten ihre Dienste an und bekommt Aufträge wie ein Unternehmen. Auch die schweiz nimmt diese Dienste der IOM in Anspruch. Ein Beispiel ist das „freiwillige Rückkehr und Reintegrationsprogramm“ für Nigeria, welches seit 2005 existiert, vom „Staatssekretariat für Migration“ (SEM) finanziert und von der IOM Bern durchgeführt wird. Dieses Programm stellt eine Menge Angebote zur Verfügung: Rückkehrberatungen in der schweiz, Bereitstellung von allen Informationen bezogen auf die Rückkehr, Initiierung der finanziellen und medizinischen Unterstützung, Organisation der Rückkehr und Organisation der Reintegration im Herkunftsland.

Auch wenn die IOM von einer „Win-win Situation“ spricht, ist der Gewinn für die schweiz so gross, dass der Gewinn für die Migrant*innen nur schwer zu erkennen ist.
Die „freiwillige Rückkehr“ ist wirtschaftlich sehr lukrativ für die schweiz. Während sie dem Migrant oder der Migrantin bei der „freiwilligen Rückkehr“ im schlimmsten Fall 4000.- bezahlen muss, kostet sie eine Level-4-Ausschaffung zwischen 8000 und 10`000.- . Dazu kommt noch 140.- für jeden Tag in Ausschaffungshaft, was bei den maximalen 18 Monaten ca. 70`000.- sind.6

Es gibt Länder, welche nicht zulassen, dass Bürger*innen ihres Landes mittels „Zwangsausschaffung“ zurückgeschafft werden. „Freiwillige Rückkehrungen“ sind dann meistens die einzige Möglichkeit für eine Ausschaffung. Menschen aus solchen Ländern müssen also einfach dazu gebracht werden, diese „freiwillige Rückkehr“ zu akzeptieren. Die Mittel, um einen Menschen an diesen Punkt zu bringen, sind zahlreich: Bis zu 18 Monate Ausschaffungshaft, hohe Bussen, Gefängnisstrafen wegen „illegalem Aufenthalt“, Arbeitsverbot, ca. 8.- Nothilfe pro Tag, Schlafplätze in Zivilschutzanlagen, oft unter der Erde usw. Spannend, dass bei dieser Art von Rückkehr die Freiwilligkeit und Zwanglosigkeit so hoch gelobt wird.
Mit diesem Ausschaffungssystem voller freier Entscheidungen kann der Migrant oder die Migrantin auch für die gewaltvolle Ausschaffung selbst verantwortlich gemacht werden. Die schweiz gibt ihnen ja die Möglichkeit, freiwillig auszureisen und dazu noch Geld zu bekommen. Urs von Arb vom Staatsekretariat für Migration bedauert, dass es Menschen gibt, die dieses Angebot nicht annehmen wollen und ihn zwingen „Zwangssauschaffungen“ anzuwenden:

„Aber es gibt leider Leute, die nicht freiwillig gehen wollen. Also sagen wir: Hör zu, wir buchen dir einen Flug. Aber die Person weigert sich noch immer. Sie lässt sich nicht von der Polizei auf ein Flugzeug begleiten. Dann sagt die Polizei: So geht das nicht. Die Person muss auf Level 4 ausgeschafft werden.“

Ist eine Level-4-Ausschaffung also auch eine freiwillige Rückkehr? Oder bezieht sich das Wort Freiwilligkeit bei der „freiwilligen Rückkehr“ auf den Entscheid, „freiwillig“ auf körperliche Gewalt zu verzichten oder „freiwillig“ dem Druck nicht mehr stand zu halten, welcher von den Behörden und dem Gewaltapparat auf einen Menschen ausgeübt wird?
Entweder werden alle Arten von Ausschaffungen als freiwillig bezeichnet, dann ist der Begriff ohne Bedeutung. Oder aber alle Ausschaffungen werden als das gesehen was sie sind: Gewaltvolle, erzwungene und menschenunwürdige Praktiken, angeordnet von einem Staat gegen einen Menschen, welcher den falschen Pass besitzt.

Ja, die IOM ist eine wüste Organisation

Es ist mir wichtig, dass auch die IOM im Kampf gegen das Migrationsregime Ziel von Kritik und Widerstand ist. Ihre Migrationsprogramme und Angebote beinhalten die Organisation von Ausschaffungen, die Verbesserung von Grenzkontrollen, das Drehen von „Abschreckungsvideos“ über die schweiz und Einiges mehr, was absolut beschissen ist.

Meine Hauptkritik an der IOM verbindet sich aber wieder mit der Kritik an Nationalstaaten, dem Kapitalismus, der Herrschaft usw. Denn für mich ist klar, dass die IOM für die westlichen Staaten von grossem Nutzen ist, um ein weiteres Feld der internationalen Politik unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Kontrolle über die Migrationspolitik anderer Staaten, versuchen die westlichen Staaten demnach nicht nur über Entwicklungshilfe oder andere Machtspiele zu erreichen, sondern auch dadurch, dass die Art und Weise, wie sie über ein Thema denken, universale Gültigkeit erlangt. Mit der Entwicklung und der Verbreitung des Konzeptes „migration management“ gibt die IOM vor, welche Formen von Migration es gibt und wie mit diesen umgegangen werden soll. „Migration management“ ist ein Konzept der westlichen Staaten, nach welcher alle Staaten ihr Handeln richten sollen. Es wird als einzige Lösung vorgegeben und soll Migration zum Vorteil aller Beteiligten in kontrollierte Bahnen lenken. Je hegemonialer dieses Verständnis von Migration in der Politik und im kollektiven Verständnis wird, desto natürlicher wird es, Menschen in Lager einzusperren oder aufgrund falscher Papiere auf der Strasse zu jagen.

Die Autorin sieht diesen Text als Versuch, einen weiteren Akteure dieses verhassten Migrationsregimes vorzustellen. Gewissermassen ist er aber auch eine Abrechnung mit der Zeit in den Hörsälen und Seminarräumen. Durch wissenschaftliche Texte und von dozierenden Personen lernte die Autorin das Spiel der Internationalen Politik etwas kennen. Die Spielregeln und die Existenz der Spieler selbst wurden jedoch kaum kritisch hinterfragt sondern als natürlich gegeben vermittelt.
Quellen

1 Der Titel ist gestohlen.
2 In den Herkunftsländern von Migrant*innen, die Länder die Migrant*innen auf ihrer Reise passieren (Transitländer) und in diesen Ländern, welche als Zielland gewählt werden.
3 Die IOM spricht von „irreguläre Migration“. „Illegale Migration“ wird von ihr für den Menschenschmuggel verwendet.
4 International Organization for Migration (IOM) (2015): 106th Session, Programm and Budget for 2016. https://governingbodies.iom.int/system/files/en/council/106/C-106-7-Programme-and-Budget-for-2016.pdf
5 Mit Wohlstandsstaaten ist die Ansammlung von Staaten mit einem hohe „Bruttoinlandprodukt“ (BIP) gemeint. Ich möchte damit nich sagen, dass alle Menschen in diesen Wohlstandsstaaten ein Leben in Wohlstand leben.
6 Die Daten stammen von 2011: Stellungnahme des Bundesrates von 25.5.2011.
https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20113045

Weitere Informationen

– Andrijasevic, Rutvica / Walter, William (2010): The International Organization for Migration and the international government of borders. Environment and Planning D: Society and Space. Vol. 28. Pp. 977-999.
– Ashutosh, Ishan / Mountz, Alison (2011): Migration management for the benefit of whom? Interrogating the work of the International Organization for Migration. Citizenship Studies, Vol. 15, No. 1, Pp. 21-38.
– Geiger, Martin / Pécoud, Antoine (2014): International Organisations and the Politics of Migration. Journal of Ethnics and Migration Studies, Vol. 40, No. 6, pp. 865-887.
– Hanimann, Carlos (2010): Im Grenzgebiet des Rechts. WOZ, Nr. 28/2010.
– IOM Bern: http://www.ch.iom.int/
– IOM: https://www.iom.int/

Kommentar zu drei Todesfällen von Geflüchteten im Herbst 2017 und einer Totgeburt im Jahr 2014

Innerhalb kürzester Zeit starben im Herbst 2017 drei geflüchtete Menschen aufgrund von Polizeigewalt in der Schweiz. In Brissago/TI wurde Subramaniam H. von einem Polizisten erschossen. In Lausanne wollte die Polizei Lamin Fatty aufgrund einer Verwechslung transferieren und hielt ihn in Gewahrsahm. Dem an Epilepsie leidenden Mann wurde medizinische Hilfe verweigert und er starb in seiner Zelle. In Valzeina/GR wurde ein junger Mann aus afghanistan von der Polizei solange gehetzt, bis er von einer Klippe stürzte und starb. Das Schweigen der Medien und die Folgenlosigkeit für die Mörder weisen darauf hin, dass in der Schweiz nicht alle Leben gleichviel zählen.
Diese Meinung vertrat anscheinend auch das Militärgericht, das Anfang Dezember einen Grenzwächter, der sich für die Totgeburt einer geflüchteten Frau zu verantworten hatte, zu einer ziemlich milden Strafe verurteilte. Dieser Grenzwächter ignorierte die Schmerzensschreie der Frau, das Blut, das ihr in die Hosen lief und die Bitten ihres Ehemannes, medizinische Hilfe zu besorgen, als sie 2014 am Bahnhof in Brig in den Räumen der Grenzwache eingesperrt waren. Er steckte sie in diesem Zustand in den Zug nach Domodossola und schob “das Problem” somit nach italien ab. Dort war das zu früh geborene Baby aber bereits tot. Die Frau war eingesperrt, sie befand sich in der Gewalt eines Mannes, den es nicht kümmerte, dass es Menschen sind, die er einsperrt. Die Frau hatte keine Möglichkeit, sich selbst um die medizinische Hilfe zu kümmer. Das Baby ist ein toter Mensch, ein getötetes Kind. Das ist die Schuld dieses Mannes, der währenddessen auf dem Bahnsteig stand und eine Zigarette rauchte. Das ist die Schuld eines Migrationsregimes, das Menschen aufgrund ihreer Bedeutung für die Ökonomie bewertet. Das ist die reale Manifestierung des Spruchs „Grenzen töten“.

Der Versuch einer Schliessung der zentralen Mittelmeerroute

Im November 2017 trafen sich Minister*innen aus 13 Staaten und Vertreter*innen verschiedener zwischenstaatlicher Organisationen zum dritten Treffen der Kontaktgruppe zentrales Mittelmeer in Bern. Sommaruga erklärte in allen Medien, wie dieses Gremium 14’000 Flüchtlinge vor dem Ertrinken gerettet habe und sich um die Verbesserung der Lage von gefangenen Migrant*innen in libyen einsetze. Das klingt toll, aber was steckt dahinter?

Dahinter steckt, dass die libysche Küstenwache, finanziell von den Teilnehmerländern unterstützt, 14’000 Menschen kurz nach dem Ablegen von den Booten geholt hat und sie in libysche Internierungslager einsperrte.1 Die Kontaktgruppe verfolgt nämlich hauptsächlich eine Politik, die die Migrationsthematik möglichst weit weg von europa wegschieben möchte. Dem entsprechen die drei wichtigsten Prioritäten, die die Kontaktgruppe formuliert:

1. Die Stärkung der libyschen Küstenwache.
2. Der Ausbau der Schutzkapazitäten für Migrant*innen in libyen.
3. Die Kontrolle der libyschen Südgrenze.2

Es ist dieselbe Politik, die vor einem Jahr in der Schliessung der Balkanroute durch einen zweifelhaften Deal mit der türkei mündete. Diesen Sommer wurde sie, unter weitaus weniger Beachtung der Öffentlichkeit als damals, mit der teilweisen Schliessung der zentralen Mittelmeerroute fortgesetzt. Dies gelang vor allem dank den Bemühen des italienischen Ministerpräsidenten Minniti, der zahlreiche offizielle wie auch korrupte Deals mit verschiedenen Warlords, Milizen, der Küstenwache und Bürgermeistern in libyen aushandelte. Mit den Deals konnten die verschiedenen libyschen Akteur*innen offenbar überzeugt werden, die Abfahrt der Flüchtlingsboote zu verhindern.

…dass der Wohlstand europas auf den Säulen Gewalt, Ausbeutung und Krieg steht.

Die Seehoheitszone libyens wurde auf 100 Kilometer vor der Küste des Landes ausgeweitet, zuvor lag sie bei 12 Kilometern. Das bedeutet, dass innerhalb dieses Streifens nur noch Boote der libyschen Küstenwache patroullieren und Seenotrettungen durchführen dürfen. Ein Rettungsboot, das sich in die 100 Kilometer Zone begab, wurde von der libyschen Küstenwache mit scharfer Munition beschossen. Die finanzielle Unterstützung eben dieser Küstenwache und der libyschen Einheitsregierung, die die Internierungslager betreibt, ist für die eu laut Sigmar Gabriel angeblich alternativlos.3
Gleichzeitig zwang die eu die verschiedenen Hilfsorganisationen, die auf dem Mittelmeer aktiv sind, einen Kodex zu unterschreiben. Dieser Kodex beinhaltet die Pflicht zur Mitnahme bewaffneter Polizist*innen auf den Rettungsbooten so wie das Verbot der Übergabe geretter Personen an grössere Schiffe. Letzteres hätte zur Folge, dass kleine Schiffe nach einer Rettung immer direkt nach italien fahren müssten und somit für mehrere Tage keine weitere Rettungen durchführen könnten. Es ist erfreulich, dass einige Organisationen sich dieser Politik widersetzten und den Kodex nicht unterschrieben. Ärzte ohne Grenzen schreibt, dass “der Verhaltenskodex die Perspektive zu verankern scheint, dass Staaten die Lebensrettung auf Nichtregierungsorganisationen auslagern können, um die eigenen Bemühungen auf Marine- und Militäroperationen konzentrieren zu können.”4
Den Organisationen, die den Kodex nicht unterschrieben, wurde gedroht, dass ihnen das Anlaufen italienischer Häfen verboten werde. Ausserdem wurden in mehreren Fällen verdeckte Ermittler*innen und Wanzen auf die Schiffe geschafft und ein Schiff der Organisation Jugend rettet wurde von der italienischen Polizei beschlagnahmt. Eine mediale Kampagne propagierte die zynische Behauptung, die NGO’s würden mit ihren Rettungen einen Pull-Faktor darstellen und seien deshalb die wahren Verantwortlichen für die vielen Toten. Zweifelsohne ein Versuch, die wertvolle Arbeit der Hilfsorganisationen zu diffamieren.

Die von der Kontaktgruppe Zentrales Mittelmeer gewählte Strategie zeigte Wirkung. Seit Juli sind die versuchten Überfahrten von libyen nach italien auf einem Dauertief und die Internierungslager in libyen füllen sich.5 Menschen werden in libyen in die Sklaverei und in Gefangenenlager gedrängt und Vergewaltigungen und Misshandlungen ausgesetzt.6 Ein Zitat von Sommaruga verdeutlicht den doppelten Profit dieser Strategie für die europäischen Staaten. Einerseits konnte der gewaltvolle Umgang mit migrierenden Menschen ein weiteres Stück vom befriedeten europa entfernt werden, andererseits können sie ihr humanistisches Mäntelchen zur Geltung bringen:

Wir müssen die Schwächsten rasch aus den libyschen Haftzentren rausholen können. Die Situation dort ist absolut katastrophal. Darunter leiden auch alle anderen Migranten, etwa die vielen Arbeitsmigranten, die in libyen gestrandet sind und nun dort festsitzen. Sie müssen wir unterstützen, damit sie freiwillig in ihre Heimatstaaten zurückkehren. Denn in europa erhalten sie kaum Asyl, riskieren mit einer Fahrt über das Mittelmeer aber ihr Leben.7

Dass trotz den verstärkten Abwehrmechanisem weiterhin Migrant*innen ankommen, verdeutlicht allzu sehr, dass der Wohlstand europas auf den Säulen Gewalt, Ausbeutung und Krieg steht. Es ist ein Bild das nicht ins europäische Selbstverständnis passt. Der Schwerpunkt der Strategie liegt meiner Meinung nach darin, europa vor den Folgen der Kriege und der Not, für die es selbst verantwortlich ist, abzuschirmen. Dass europa dabei kein bisschen davor zurückschreckt, militärische Mittel zu ergreifen, scheint eine logische Konsequenz zu sein.
europa führt einen Krieg gegen die Migrant*innen, der sich auf verschiedenen Ebenen abspielt. Ja, richtig gelesen, Krieg. Denn es ist ein Krieg. Ein Krieg an der Grenze, gegen Migrant*innen, ein Krieg, der der Ausbeutung und der Machterhaltung aber auch der Befriedung europas und dem Erhalt von Privilegien dient. Dies zeigt die Bewachung der Grenzen durch das Militär in libyen wie auch in europa. Dies zeigen die Lager, in die Menschen gesperrt werden, in libyen wie auch in europa. Und dies zeigen die durch das Grenzregime getöteten Menschen, in libyen wie auch in europa.

Der Schreibende hat zur Entstehung dieses Textes eine kleine Online-Recherche betrieben. Seiner Abscheu gegenüber den Nationalstaaten und ihrem Grenzregime verleiht er in diesem Text auch durch das Kleinschreiben von Ländernamen Ausdruck.

Wie Afrikaner*innen für Papiere, Bildung und eine Arbeit kämpfen – und wie Europäer*innen mit Migration umgehen

Ich bin dreissig Jahre alt, komme ursprünglich aus Guinea Conakry und lebe und arbeite nun in Basel. Vor zehn Jahren bin ich aufgrund der Diktatur und familiärer Probleme gezwungen worden mein Land zu verlassen. Meine Reise von Guinea in die Schweiz dauerte fast acht Jahre lang – hier zeichne ich einen groben Entwurf davon:

Ich habe Guinea im Dezember 2006 in Richtung Senegal verlassen, ging anschliessend über Mali, Niger nach Libyen, wo ich drei Monate später ankam. Es war eine Reise durch die Wüste und durch die Hölle – nicht alle aus unserer Gruppe haben dabei überlebt. In Libyen angekommen realisierte ich, dass es dort viele Probleme mit der Polizei gab. Menschen konnten sich nicht frei bewegen. Mein Pass wurde zerrissen und ich für drei Monate ins Gefängnis in der Nähe von Tripolis gesperrt. Während dieser Zeit wurde ich gefoltert und misshandelt – ich und unzählige andere Afrikaner haben viel gelitten. Aber wieder durch die Wüste zurückzukehren war keine Option, ich würde diese Reise nicht nochmals überleben.

Als ich aus dem Gefängnis entlassen wurde und in Tripolis ankam, war es schwierig, eine Arbeit sowie Hilfe zu finden, wenn man krank ist. Denn versucht man ins Krankenhaus zu gehen, so werden sie die Polizei rufen um einen zu verhaften. Das ist der Grund warum viele Migrant*innen sehr viel gelitten haben. Manchmal versuchte die Polizei in der Nacht in das Haus zu kommen um dort Menschen zu verhaften. Ich habe viele Männer, Frauen und Kinder gesehen, die immer wieder misshandelt wurden. Dies ist der Grund warum ich finde, dass Europa kein Recht dazu hat, Menschen zurück nach Libyen auszuschaffen. Und seit ich dort gewesen bin, ist es nur noch schwieriger geworden als vorher, als Gadhafi noch an der Macht war.

Ich entschloss mich dazu, Libyen auf dem einzig möglichen Weg, dem Boot, zu verlassen. Der erste Versuch endete in einer Kata- strophe – viele Menschen sind dabei gestorben. Die zweite Fahrt dauerte fünf Tage lang auf offener See. Ich bin am 18 August 2007 mit 28 weiteren Menschen in Malta angekommen. In Malta wurden wir von der Polizei verhaftet und in einem Lager namens Alhalfar in Gewahrsam genommen. In diesem Gefängnis musste ich ein Jahr lang bleiben, andere mussten dort bis zu eineinhalb Jahre bleiben. In Malta werden nur Afrikaner*innen so behandelt – andere werden entweder direkt in ihr Heimatland ausgeschafft oder ihnen wird gewährt, in einem Lager zu wohnen. Das offizielle Statement um die Inhaftierung zu rechtfertigen lautet, dass Westafrikaner*innen Träger*innen von Infektionskrankheiten sein können und aus diesem Grund isoliert werden müssen. Das Schlimme am Gefängnis war, dass wir nicht darüber informiert wurden, was mit uns geschieht, wie lange wir da drinnen bleiben müssen und warum wir überhaupt verhaftet worden sind.

Selbstorganisation ist etwas positives, wenn es geschieht. Aber es ist nicht einfach. Denn wir Migrant*innen sind keine einheitliche Gruppe.

Ich hatte das grosse Problem, nachts aufgrund von schlimms- ten Albträumen nicht schlafen zu können. Aber als ich den Arzt treffen und ihm von meinen Problemen erzählen konnte, gab er mir immer nur Schlaftabletten. Das half überhaupt nichts, denn selbst mit Medikamenten wacht man mit schrecklichen Bildern im Kopf auf und kann dann nicht mehr einschlafen und fühlt sich schwach und kraftlos. Ein anderes grosses Problem war, dass es keine*n einzige*n Übersetzer*in gab. In diesem Gefangenenla- ger gab es mehrere Wohnungen und jede Wohnung hatte drei Zimmer. Es gab zwei Toiletten für über 500 Menschen und nur einen Fernseher.

Nachdem ich das Gefängnis verlassen hatte, habe ich für neun Monate in einem Krankenhaus gearbeitet. Weil ich gemerkt habe, dass ich in Malta keine Hilfe bekommen werde um wieder gesund zu werden, entschloss ich mich dazu, nach Italien zu gehen. In Italien angekommen, liessen sie mich wissen, dass ich zurück nach Malta kehren müsse, weil ich meine ersten Fingerabdrücke dort habe (Dublin-Vertrag der EU).

So musste ich die Reise fortsetzen und kam im November 2009 in den Niederlanden an. Dies war das erste Mal als ich herausfand, dass ich traumatisiert war. Ich wurde zu einem Psychiater geschickt und bekam dort die Hilfe die ich benötigte. Ich bekam Medikamente und ging zur Schule – ich lernte lesen und schreiben. Nach zweieinhalb Jahren in den Niederlanden, wurde ich als eine wieder „gesunde Person“ eingeschätzt und, basierend auf dem Dublin-Abkommen, zurück nach Malta, geschickt.

Zurück in Malta, wurde ich wieder ins Gefängnis gesperrt, da ich das Land ohne einen Pass oder eine Bewilligung verlassen hatte. Ich war für weitere sechs Monate eingesperrt. Nach all dem beschloss ich, von der Vergangenheit zu lernen und meine Erfahrungen mit anderen Migrant*innen zu teilen um ihnen dabei zu helfen, sich in der neuen Kultur, im neuen System und der neuen Gesellschaft zurechtzufinden. Ein weiteres Ziel von mir ist es, junge Menschen in Afrika über die Migration nach Europa zu informieren; dabei nicht die Schule zu verlassen und viel zu studieren um eine gute Ausbildung zu bekommen. So können sie in ihren eigenen Ländern aufwachsen, ihr Land zum Besseren verändern und müssen nicht ihr Leben und ihre Würde auf dem gefährlichen Weg nach Europa aufs Spiel setzen.

Selbstorganisation ist etwas positives, wenn es geschieht. Aber es ist nicht einfach. Denn wir Migrant*innen sind keine einheitliche Gruppe. Zum Beispiel Menschen aus dem Senegal und aus Guinea oder Menschen aus Nigeria und Menschen aus Ghana, die passen nicht zusammen. Das ist ein grosses Problem. Wenn man es schaffen würde dieses Problem zu lösen, könnten die Dinge besser laufen. In Malta werden drei Hauptkategorien von Migrant*innen unterschieden: Menschen aus dem Nahen Osten, aus Ostafrika und aus Westafrika. Jede Gruppe hat unterschiedliche Chancen auf einen legalen Status. So vereinigen sich die Ostafrikaner (die bessere Chancen haben) nicht mit den Westafrikanern (die fast keine Chancen haben) um gegen die Probleme zu kämpfen. Nur Westafrikaner versuchen sich selbst zu organisieren. Und auch innerhalb der Westafrikaner gibt es vielleicht fünf von tausend, die die Situation, die Menschen und das Land kennen; diese treten dem Kampf allerdings nicht bei, aus Angst diesen Vorteil zu verlieren. Des Weiteren benötigt man einen Ort, wo man sich treffen kann. Ich erinnere mich zum Bei- spiel daran, als wir versucht haben ein Treffen zu organisiere um über die humanitäre Gnadenfrist zu diskutieren. Wir trafen uns in einem Fussballstadion. Das erste Treffen war gut, es sind viele Menschen gekommen. Während des zweiten und dritten Treffens, war die Polizei schon da. Seit die Polizei dort auftauchte, kamen die Menschen nicht mehr zum Treffen.

In Europa wurde ich unterrichtet, ich lernte meine Rechte kennen, ich lernte, dass hier etwas mehr Gleichheit herrscht und, dass man für seine Rechte kämpfen kann. In Malta schaltete ich eine Face- book Seite mit dem Namen „R. Know More Net- work“ auf und fuhr dann damit fort, die offenen Lager zu besuchen, mit den Migrant*innen über die Wichtigkeit der Selbstorganisation, Bildung und das Wissen der lokalen Kultur zu sprechen. Das „R.“ steht für den Namen meiner Mutter, Ramatah. Viele Afrikaner haben die Tendenz ihre Gefühle, Probleme und Schwierigkeiten für sich zu behalten und nicht über ihre Erfahrungen zu sprechen. Aber wir müssen den Europäern erzählen, wer wir sind und warum wir unser Heimatland verlassen haben, damit sie verstehen können.