Alltag in der Ausschaffungshaft – Ein Gespräch mit zwei inhaftierten Personen im Bässlergut

Das im Folgenden abgedruckte Gespräch fand während den offiziellen Besuchszeiten im Gefängnis Bässlergut statt. Vor dem grossen Gittertor drücken wir auf den roten Knopf und melden durch die Sprechanlage hindurch die Namen der Personen, die wir besuchen möchten. Das erste Tor öffnet sich, vor dem zweiten warten wir nochmals, werden schliesslich auch durch dieses hindurch gelassen und betreten nach ein paar Metern den überhitzten Eingangsbereich des Bässlerguts. Erst mal Winterjacke ausziehen, ID abgeben, Taschen verstauen, Anmeldeformular ausfüllen, durch das Drehkreuz hindurch und beim Metalldetektor vorbei. Wie immer wird man einzeln zum Besucherraum gebracht. Wir nehmen nach und nach alle Platz und warten. Schliesslich sitzen wir zu fünft am Tisch. Obwohl wir uns alle bereits kennen, wird das Interview von einem anfänglichen Misstrauen seitens der beiden befragten, inhaftierten Personen begleitet. Dies zeigt sich darin, dass nicht nur nach unserer Motivation, sondern auch nach der Erwerbstätigkeit und Zugehörigkeit einer (politischen) Gruppe oder eines (politischen) Vereines gefragt wird. Die beiden befragten Personen gehen mit dem Interview ein hohes Risiko ein, da sie aufgrund ihrer Position als Insassen schutzlos der Willkür der Wärter ausgeliefert sind. An dieser Stelle soll den beiden nochmals für dieses Gespräch gedankt werden.

Du stehst kurz vor deiner Level I-Ausschaffung.1 Wirst du dich dieser widersetzen?


B.:
Ich werde mit Level I ausgeschafft, ich halte es nicht aus, diese verschiedenen Stufen durchzumachen und dann beim dritten Mal auf solch gewaltvolle Weise ausgeschafft zu werden. Nein, darauf habe ich keine Lust. Momentan weiss ich noch nicht, wann ich genau ausgeschafft werde. Das wird mir erst etwa zwei bis drei Tage vorher mitgeteilt. Es bringt ohnehin nicht viel, sich zu widersetzen, da dies nur eine Verlängerung der Haft von zwei bis drei Wochen bedeuten würde.

N.: Das Problem ist, dass wir Ausländer sind und der Mensch dabei vergessen geht.

B.: Ich bin hier aufgewachsen und jetzt werde ich ausgeschafft. Ich habe keine Chance, bei meinem Kind zu bleiben. Ich möchte doch hier sein, mich um meine Familie kümmern und mein Kind aufwachsen sehen!
Eigentlich wollte ich ja nie Kinder in diese Scheisswelt setzen. Doch jetzt habe ich eines und jetzt muss ich gehen. Ich werde die ganzen Entwicklung meines Kindes nicht mitbekommen. Wie es zum ersten Mal isst, spricht oder geht.

Wie sieht denn euer Alltag hier im Bässlergut-Gefängnis aus?

B.: Um 07:15 machen die Wärter unsere Zelle auf, um 17 Uhr abends wird diese wieder geschlossen. In unserer Zelle sind wir zu dritt, es gibt einen Fernseher. Zudem gibt es auf unserem Stock einen Gemeinschaftsraum mit einer Küche, zwar mit einem grossen Tisch, aber nur mit zwei Stühlen. Gemütlich ist es da nicht.

N.: Kann man rausgehen, dann verteilt sich das ein bisschen: Ein paar gehen raus, ein paar bleiben drin. Pro Tag können wir einmal für eine Stunde und einmal für zwei Stunden in den Innenhof gehen.

Wie sieht es mit dem Essen aus?

B.: Morgens um 07:15 gibt es Frühstück, dann wieder etwas um 11 Uhr und um 17 Uhr abends. Nachbestellen liegt nicht drin. Einmal fragten wir die Wärter, ob wir eine Pizza bestellen könnten und diese dann selber bezahlen. „Fuck you“, kriegten wir zur Antwort.

N.: Einmal in der Woche ist ein kleiner Kiosk geöffnet, wo wir Lebensmittel, Getränke, Zigaretten und andere Dinge einkaufen können. Der ist aber völlig überteuert: Eine M-Budget Schokolade kostet hier ca. 2.-.

B.: Dann arbeite ich 2,5 Stunden und kann doch fast nichts kaufen!

Was arbeitet ihr denn?
N.: Abends kommen die Wärter jeweils und fragen, wer am nächsten Tag arbeiten möchte. Die Arbeitszeiten sind am Montag, Mittwoch und Donnerstag von 8:00 bis 10:30 und am Dienstag und Freitag von 14:00 bis 16:30.

B.: Jeweils zwei bis drei Leute sitzen zusammen an einem Tisch, um zu arbeiten. Gesprochen werden darf nicht. Wasser darf man nur auf der Toilette vom Wasserhahn trinken. Es ist nicht erlaubt, während der Arbeit Wasser zu trinken.

Was sind das für Arbeiten?
B.: Momentan machen wir vor allem Weihnachtsartikel: Wir stellen beispielsweise verschiedene Verpackungen zusammen und kleben Teile aneinander. Die fertigen Packungen werden dann nach Belgien geschickt, wo verschiedenes Zeug reingepackt wird. Von dort geht es weiter nach China. Ich weiss aber nicht, wer hinter diesem Auftrag steckt.

N.: Für die zweieinhalb Stunden erhält man jeweils 7.50.

B.: Letzte Woche war ich am Arbeiten als meine Frau und mein Kind vorbeikamen. Am Empfang fragten sie nach mir. Aber niemand kam und informierte mich darüber, dass meine Familie da sei und mich besuchen wolle. Also gingen sie wieder. Als ich das später erfuhr, fragte ich den Wärter, weshalb er mir nichts gesagt habe. Frau und Kind sind mir doch wichtiger als diese Scheiss 7,50! „Das sind eben die Regeln: Wenn du dich zur Arbeit einträgst, musst du arbeiten“, erhielt ich von diesem zur Antwort.

N.: Die Arbeit wird manchmal auch als Strafmittel genutzt, indem man zur Strafe nicht arbeiten darf und somit auch kein Geld zur Verfügung hat.

Und arbeitet ihr?
B.: Ja, ich arbeite regelmässig. Aber nicht wegen des Geldes. Nein, der einzige Grund ist, dass ich ab und zu meine Ruhe brauche. Denn diese Möglichkeit habe ich sonst nicht. Ständig hört jemand Musik, telefoniert oder spricht mit anderen Personen. Indem ich zur Arbeit gehe, kann ich diesem Trubel für kurze Zeit entfliehen.

N.: Nein, ich arbeite nicht mehr. Ich habe vor drei Monaten während der Arbeit einen kleinen Karton kaputt gemacht. Der war knapp eine A4-Seite gross…

B.: Das kann doch mal passieren, das ist uns allen schon passiert!
N.: …dafür habe ich fünf Tage Bunker gekriegt. Seit diesem Erlebnis arbeite ich nicht mehr. Ich will es nicht riskieren, noch einmal in die Isolationszelle zu gehen.

Kannst du uns etwas über diesen Bunker erzählen? Was kann man sich darunter vorstellen?
N.: Das ist eine Einzelzelle, die zur Bestrafung eingesetzt wird. In meinem Fall also für das Kaputtmachen einer kleinen Kartonschachtel bei der Arbeit. Während der Zeit im Bunker durfte ich einmal pro Tag alleine im Innenhof spazieren gehen, ansonsten verbrachte ich die gesamte Zeit isoliert in einem Raum, der ein kleines Fenster und einen Fernseher hat. Nach fünf Tagen konnte ich schliesslich wieder in meine andere Zelle zurück.

Was für eine medizinische Versorgung habt ihr?
B.: Es gibt zwei Ärzte, an die man sich wenden kann. Der eine ist aber überhaupt nicht hilfsbereit. Er verhält sich uns gegenüber aggressiv, da es oftmals sprachbedingte Missverständnisse gibt. Dem sind wir so scheissegal wie den Wärtern. Das merkt man daran, wie sie mit dir sprechen und wie sie dich generell behandeln.
Einer, der mal in unserer Zelle war, schluckte eine grosse Menge Shampoo. Er hatte psychische Probleme und lange nichts mehr gegessen, dafür rauchte er wie eine Maschine. Meint ihr, die Wärter seien sofort gekommen, als wir um Hilfe riefen? Erst nach einer Dreiviertelstunde waren sie hier. Möglich wäre das in fünf Minuten. Das ist auch wieder ein Zeichen dafür, dass wir hier nicht ernst genommen werden.

N.: Vor zwei Wochen bat ich meinen Psychiater, bei dem ich vor zwei Jahren war, er möge doch vorbeikommen, da es mir nicht gut gehe. Die Gefängniswärter sagten mir jedoch, dass das nicht ginge und ich das nicht tun dürfe.

Läuft man beim Drehkreuz vorbei zum Besucherraum, sieht man auf der rechten Seite einen Schrank voller Medikamente. Kriegt ihr denn Medikamente? Und was sind das für Medikamente?
B.: Ja, wir kriegen Medikamente. Sämtliche Medikamente, die wir einnehmen, sind aber bereits in Wasser aufgelöst. Es ist nicht möglich, dass du die Medikamente unaufgelöst – also in der Originalverpackung – kriegst. Ich wette, da hat es zusätzlich noch Temesta drin. Als ich fragte, ob ich mein Medikament in der Originalverpackung kriegen kann, wurde mir gesagt: „Halt deine Fresse, du Scheissausländer.“
Seither nehme ich keine Medikamente mehr ein, denn ich sehe, was mit allen anderen passiert: Entweder man wird ruhig und schläft oder man wird aggressiv. Dasselbe passiert übrigens auch nach dem Essen: Wir gehen alle nach dem Essen schlafen. Das ist doch nicht normal! Oder geht ihr etwa jedes Mal schlafen, wenn ihr gegessen habt? Da ist bestimmt auch irgendein Beruhigungsmittel drin.

Wie ist eure Beziehung untereinander?
B.: Wir sind grösstenteils für uns – jeder für sich in seinem Teil der Zelle. Jeder versucht die Probleme, die er hat, mit sich zu klären. Gerade wenn jemand schlecht behandelt wird, kann diese Person sehr aggressiv werden. Dann ist es besser, wenn man diese Person vorerst in Ruhe lässt. Zudem haben wir auch grundsätzliche Kommunikationsschwierigkeiten, da sehr viele verschiedene Sprachen gesprochen werden.

Man sagt, die Schweiz sei ein neutrales Land. Aber das stimmt einfach nicht. Die Schweiz ist ein Polizeistaat

Gibt es gemeinsame Widerstandsformen?
B.: Jemand trat einmal für sieben Tage in den Hungerstreik. Die Wärter steckten diese Person in den Bunker und verabreichten ihr irgendwelche Medikamente. Auch in unserer Zelle dachten wir schon ein paar Mal über einen gemeinsamen Hunger- oder Arbeitsstreik nach und waren das auch schon am Planen. Aber immer gab es ein paar, die nicht mitmachen wollten. Das verstehe ich auch: Wer Raucher ist, muss halt einfach arbeiten gehen. Das ist der Grund, weshalb solch geplanter Widerstand scheiterte.

N.: Eigentlich könnte man sagen, dass das Überleben hier darin besteht, stabil zu bleiben. Denn das wollen sie; uns psychisch kaputtmachen.

Spürt ihr eine Solidarität von „Aussen“?
B.: Nein, und wenn dann nur durch Besuche. Wer keine Besuche erhält, spürt keine Solidarität. Sobald du im Knast bist, bist du stigmatisiert, hast du keine Freunde mehr. Wenn du im Knast bist, sind plötzlich alle deine Freunde weg und niemand kommt dich besuchen. So läuft das.

Gegen wen richtet sich eure Wut?
N.: Als ich noch draussen war, wusste ich nicht, dass der Ausschaffungsknast so ist. Nun bin ich seit vier Monaten hier drin. Was hier mit Menschen gemacht wird, macht man sonst nirgendwo. Wenn ich mal rauskomme, werde ich in die Schweiz zurückkehren und diesen Ausschaffungsknast vernichten. Das ist mein Ziel geworden, seit ich hier drin bin.

B.: Als Ausländer kannst du wenig machen, um deine Situation zu ändern. Sogar wenn man hier geboren ist und einen Schweizer Pass hat, bleibt man für immer ein Ausländer. Dieser Blocher, der verdient jedes Jahr Millionen und hetzt gegen die Ausländer. Wer arbeitet denn bei ihm? Wer putzt sein Klo? Und der sagt Scheissausländer! In dieser Welt gewinnt der Stärkere. Das ist unsere Realität. Man sagt, die Schweiz sei ein neutrales Land. Aber wer liefert Waffenmaterial in die ganze Welt?
Man sagt, die Schweiz sei ein neutrales Land. Aber das stimmt einfach nicht. Die Schweiz ist ein Polizeistaat. Sobald die Staatsanwaltschaft entschieden hat, ist Feierabend. Ist dein Anwalt bei der SVP? Feierabend. Die dürfen uns Ausländer so stark und so oft beleidigen, wie sie wollen. Wir sind hier und müssen die Fresse halten.

Prison Sucks – 6 überraschende Gründe, weswegen wir Gefängnisse bekämpfen sollten

Das Gefängnis ist eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit, sie scheint unangreifbar. Im politischen Spektrum ist von links bis rechts kaum Kritik an dieser Institution zu vernehmen. Das war auch schon mal anders, denn das Gefängnis ist ein eher modernes Phänomen. Hier sollen einige Ideen präsentiert werden, welche diese Selbstverständlichkeit aufbrechen können.
Selbst die radikale Linke hat sich in ihren Forderungen in den letzten Jahrzehnten immer mehr zurückgezogen. Während in den 70er- und 80er-Jahren die Entknastung1 der Gesellschaft noch im Zentrum stand, getraut man sich heute höchstens noch, die Freilassung „unserer“ politischen Gefangenen zu erwähnen.

 

Gefängnisse

Seit dem Altertum gibt es Gefängnisse, jedoch hatten sie lange keine mit heute vergleichbare Funktion. Menschen sind temporär bis zur Urteilsverkündung- oder Vollstreckung in Gefängnisse gesteckt worden, ähnlich dem, was uns heute als „Untersuchungshaft“3 geläufig ist. Zur Bestrafung wurden andere Methoden wie Bussgelder, Schandstrafen wie Pranger oder Verbannungen und Körperstrafen wie Prügel oder Todesstrafen ausgesprochen.
Auch Schuldgefängnisse sind weit verbreitet: Menschen sitzen ein, bis sie ihre finanziellen Schulden beglichen haben oder begleichen können. Heute hat sich das etwas verändert: Menschen sitzen nun ihre Bussen ab.

Erst später entstehen in England erste Arbeits- und Zuchthäuser. Darin werden soziale Randgruppen und Arme platziert, damit sie sich „bessern“ können. Von da an wird immer mehr auf die Bestrafung per Inhaftierung gesetzt, da diese Strafform gegenüber Schand- und Körperstrafen als humaner gilt. Sowohl im 19. als auch im 20. Jahrhundert gibt es immer wieder Reformbemühungen und Bewegungen, die fordern, dass das Gefängnis zu einem Ort weiterentwickelt wird, in dem Menschen wahlweise gebessert oder bekehrt werden sollen.

Die Bestrafung verschwindet mit der Inhaftierung aus den Augen der Öffentlichkeit hinter hohen Mauern. Es etabliert sich ein komplexes, systematisches Gefängniswesen mit verschiedenen Stufen von Inhaftierung, von Hafterleichterungen, Ausgängen, Arbeit, Hofgängen und so weiter.
Eine Idee bleibt: Der Körper muss sich innerhalb dieses Gebäudes befinden und an die Weisungen der ausführenden Gewalt – häufig vom Staat eingesetzt – halten.

1. Grund: Es schafft mehr Probleme, als es löst

Neben der Tatsache, dass das Gefängnis selbst eine Form von Gewalt ist, werden viele Inhaftierte in den Gefängnissen Opfer von Gewalt durch Mithäftlinge und Wärter*innen. Wer nicht schon traumatisiert ins Gefängnis kommt, wird sehr wahrscheinlich dort traumatische Erlebnisse machen. Das repressive Umfeld, die hierarchische Struktur und die Lebensbedingungen fördern Depressionen, Suchterkrankungen, Machtspiele und den Einsatz von Gewalt an den und durch die Gefangenen. So sind z.B. die Preise für Drogen nirgendwo höher als im Knast.

Absurderweise bilden sich in grossen Gefängnissen eine Art „rechtsfreie“ Räume, in denen Gewalt, Vergewaltigungen, Drogenhandel etc. an der Tagesordnung sind. In den Gefängnissen werden also Umfelder geschaffen, die es erst ermöglichen, problematische Strategien zur Konfliktbewältigung wie Gewalt zu entwickeln, auszuleben und weiterzugeben. Das Gefängnis ist ein Ort, wo sich delinquente Praxen und Strategien weiterverbreiten und befördern können. Im Gefängnis existiert eine Schattenwelt, die kaum eine*r kennt und die auch nicht interessiert, schliesslich geschieht sie hinter hohen Mauern.

Viele junge Leute, die wegen „kleiner“ Delikte in Haft geraten, kommen dort erst in Kontakt mit einem Milieu, in dem Delinquenz angesehen und verbreitet ist. Das Gefängnis fördert in gewissen Fällen die Kriminalität, die es zu bekämpfen verspricht und richtet dabei jede Menge Schaden an.

2. Grund: Die Gesellschaft produziert „Überflüssige“

Die Gefängnisse sind gefüllt mit Menschen, die aufgrund von sozialen Ungleichheiten und Armut in Konflikt mit dem Gesetz gekommen sind. Die meisten Verurteilungen haben direkt oder indirekt mit Eigentumsfragen zu tun. Viele Inhaftierte sind Benutzer*innen von illegalisierten Drogen. Das Herrschaftsinstrument Gefängnis ist dabei nicht nur unterdrückend, sondern ebenso produktiv: Menschen werden dazu angehalten, sich produktiv und konform zu verhalten. Es sind eben jene Instrumente, die uns und unsere Gesellschaft erst konstituieren.

Viele Gesetze sind Teil des Krieges gegen die Armen. Geschaffen wurden sie, um die bestehende Ordnung und die bestehenden (Eigentums-)verhältnisse festzusetzen und zu verteidigen. Das Justizsystem ist lange nicht so neutral und objektiv, wie es scheint. Was wie verfolgt und bestraft werden soll ist eine politische Entscheidung, die bisweilen absurde Auswüchse mit sich bringt (z.B. Gefängnis für Schwarzfahren). Gesetze schaffen eine Klasse von Delinquent*innen und einen ganzen Apparat von Polizist*innen, Richter*innen, Überwachung und Kontrolle, und legitimieren diesen. Das Gefängnis hilft ebenso wie die Schule, die Kaserne, die Psychiatrie, das Krankenhaus etc., die Position des Individuums in der Gesellschaft anzuzeigen und es darin festzusetzen.

In der Theorie bleibt eines der Ziele dieser Einschliessung die Resozialisierung. Das Individuum soll in der Gesellschaft wieder eine andere, konforme Position einnehmen. Zumindest war dies das Ziel vieler Reformen in den letzten Jahrzehnten. Dieses Ziel scheint mittlerweile aufgegeben zu sein.
Solange die Gesellschaft ist wie sie ist, voller sozialer Unterschiede, Sexismus und Rassismus, solange wird es auch viele Menschen geben, die mit dem Gesetz in Konflikt kommen. Solange wird die Gesellschaft „Überflüssige“ produzieren.

3. Grund: Es soll uns abschrecken

Die blosse Präsenz von Gefängnissen und Gefangenen in unserem Bewusstsein soll zur Abschreckung dienen. Eine möglichst grosse Konformität und Gesetzestreue wird dadurch angestrebt, dass du deiner Bewegungsfreiheit beraubt werden könntest, wenn du gegen Gesetze verstösst. Auch im Alltag und im Unterbewusstsein soll diese Angst ständig vorhanden sein: Die Polizei im eigenen Kopf. Diese hilft schon dabei, die kleinsten Regelüberschreitungen zu unterbinden. Etwas, was viele als charakteristisch an befriedeten Ländern wie der Schweiz erachten.

4. Grund: Wir lieben die Freiheit

Die krasseste Freiheitsberaubung überhaupt: Das Gefängnis ist eine besonders starke Form eines Ein- und Ausschlussmechanismus. Widerstand und Kritik an der bestehenden Ordnung kann sehr schnell ins Gefängnis führen.

5. Grund: Wofür Strafen?

Ist die Idee der Bestrafung – eine sehr moralische Idee – eine angemesse Reaktion auf Vergehen wie Diebstähle, Gewalt oder Übergriffe? Strafen bedeutet immer, jemandem mit Absicht Leid zuzufügen. Was soll mit diesem Leid bezweckt werden? Der Gedanke des Strafens basiert auf einer Idee von Vergeltung und Rache. Delinquent*innen werden stigmatisiert und damit Resozialisierung – was ein Zweck des Gefängnisses sein soll – erschwert.
Die lauter werdenden Forderungen nach noch härteren Strafen sind eine zutiefst reaktionäre Idee, basierend auf einer moralischen Vorstellung von Vergeltung gegenüber jenen Menschen, von denen angenommen wird, sie hielten sich nicht an die herrschende Ordnung.

6. Grund: Sexismus und Rassismus

In den Gefängnissen sitzen mehrheitlich Männer. Das Gefängnis trägt auch dazu bei, Geschlechtlichkeit zu (re)produzieren. Während dem Mann eher der Täter vorgeworfen wird, gilt die Frau eher als die Wahnsinnige und landet deswegen in psychiatrischer Betreuung. Sexualisierte und rassistische Gewalt sind leider in beiden Institutionen an der Tagesordnung. Hier ist der Staat nicht in der Lage, sein Sicherheitsversprechen einzuhalten, im Gegenteil: Techniken und Institutionen wie die Polizei, das Gefängnis oder Grenzen etc. produzieren Gewalt gegen Frauen* und People of Colour, statt sie zu beenden.

Der Schutz von marginalisierten Communities wird als Vorwand gebraucht, um Polizei und Justiz weiterhin Gewalt ausüben zu lassen. Schauen wir uns als Beispiel die Diskussion nach den Vorfällen in der Silvesternacht 15/16 in Köln an: Die Gewalt gegen Frauen, ein weit verbreitetes und häufig verstecktes Phänomen, wird benutzt, um Gewalt gegen People of Colour, sowohl im Land als auch an den sogenannten „EU-Aussengrenzen“ zu legitimieren. Erfährt jedoch eine illegalisierte Person sexualisierte Gewalt, hat sie unter Umständen nicht die Möglichkeit, sich an die Polizei zu wenden. Sie läuft dann Gefahr, von dieser wiederum Gewalt zu erfahren: Sie kann inhaftiert und ausgeschafft werden.

Community-basierte Ansätze

Wie sich also sicher fühlen, wenn es keine Gefängnisse gäbe und einem auch die Polizei nicht helfen kann?
Aus queer-feministischen Kreisen kommen einige Ansätze, welche mit gemischtem Fazit bereits viele Male angewandt wurden. Die Idee ist, dass das Umfeld des „Täters“/der „Täterin“ und jenes des „Opfers“ versuchen, einen Umgang mit den Erfahrungen und mit der „Tat“ zu finden und daraus Konsequenzen zu ziehen. Viele von uns haben das sicher auch bereits angewandt, bei kleinen Vergehen, Übergriffen und Problemen im sozialen Umfeld. Folgende Grundsätze sind dabei von Menschen, welche sich viel damit beschäftigt haben, herausgearbeitet worden2:

  • Kollektive Unterstützung, Sicherheit und Selbstbestimmung für die betroffenen Personen
  • Verantwortung und Verhaltensänderung der gewaltausübenden Person
  • Entwicklung der Community hin zu Werten und Praktiken, die gegen Gewalt und Unterdrückung gerichtet sind
  • Strukturelle, politische Veränderung der Bedingungen, die Gewalt ermöglichen

Daraus folgt, dass der gewaltausübenden Person die Möglichkeit zur Verhaltensänderung angeboten wird, statt sie zu bestrafen und auszustossen. Es geht mehr darum, die von Gewalt Betroffenen zu ermächtigen, statt sie bloss zu beschützen. Die eigene Selbstbestimmung soll zurückerobert werden, und nicht bloss als „machtlose“ Person Schutz von Aussen zu erhalten. Diesen Strategien liegt die Annahme zugrunde, dass Betroffene von Gewalttaten über ein grosses Wissen und über Fähigkeiten verfügen, die sie zu potenziellen Akteur*innen sowohl der eigenen als auch der gesellschaftlichen Veränderung machen.

Dies ist ein ganz anderer Ansatz als Gefängnisse, die uns Sicherheit durch Verwahrung verkaufen wollen. Die Gefängnislogik versucht, ein paar „faule Äpfel“ zu isolieren. Doch häufig gibt es gute Erklärungen4, wenn auch keine Entschuldigung für Gewalt.
All diese Ansätze sind nur möglich, wenn die Menschen genug stabile soziale Umfelder haben und sich in der Lage sehen, in einer solchen Situation entsprechend einzuschreiten. Damit dies für alle Menschen möglich ist, müssen wir wohl in einer anderen Welt leben. Die Gründe für einen Kampf gegen Gefängnisse haben nicht nur mit der Strafjustiz und dem Staat zu tun, sondern sind genauso eine Frage nach einer emanzipatorischen und gerechteren Welt.

Eine Person, welche in den letzten Jahren durch die Auseinandersetzung mit Ausschaffungen und dem Ausschaffungsgefängnis Bässlergut begonnen hat, eine grundsätzliche Kritik an der Institution zu entwickeln. Die Person kann nicht verstehen, weswegen Widerstand gegen den Gefängnisausbau nie zu einer Diskussion über Sinn, Unsinn und Notwendigkeit dieser Einsperranstalt führt. Der Text basiert auf einem Input, der im Herbst 2017 am „Bässlergut-Wochenende“ bei der bblackboxx gehalten wurde.

1 entknastung.org
2 transformativejustice.eu/de/
3 Die Untersuchungshaft ist eine Zwangsmassnahme, die dazu dient, die Anwesenheit einer dringend verdächtigen Person im Verfahren sicher zu stellen, die Person von der Begehung von (weiteren) Delikten abzuhalten, Absprachen mit anderen Personen zu vermeiden oder Einwirkungen auf Beweismittel zu verhindern.
4 Aufgrund von Sozialisierung, ökonomischem und kulturellem Hintergrund, Klassenzugehörigkeit, Suchterkrankungen etc. lassen sich gewalttätige Übergriffe durchaus erklären.