Alltag in der Ausschaffungshaft – Ein Gespräch mit zwei inhaftierten Personen im Bässlergut

Das im Folgenden abgedruckte Gespräch fand während den offiziellen Besuchszeiten im Gefängnis Bässlergut statt. Vor dem grossen Gittertor drücken wir auf den roten Knopf und melden durch die Sprechanlage hindurch die Namen der Personen, die wir besuchen möchten. Das erste Tor öffnet sich, vor dem zweiten warten wir nochmals, werden schliesslich auch durch dieses hindurch gelassen und betreten nach ein paar Metern den überhitzten Eingangsbereich des Bässlerguts. Erst mal Winterjacke ausziehen, ID abgeben, Taschen verstauen, Anmeldeformular ausfüllen, durch das Drehkreuz hindurch und beim Metalldetektor vorbei. Wie immer wird man einzeln zum Besucherraum gebracht. Wir nehmen nach und nach alle Platz und warten. Schliesslich sitzen wir zu fünft am Tisch. Obwohl wir uns alle bereits kennen, wird das Interview von einem anfänglichen Misstrauen seitens der beiden befragten, inhaftierten Personen begleitet. Dies zeigt sich darin, dass nicht nur nach unserer Motivation, sondern auch nach der Erwerbstätigkeit und Zugehörigkeit einer (politischen) Gruppe oder eines (politischen) Vereines gefragt wird. Die beiden befragten Personen gehen mit dem Interview ein hohes Risiko ein, da sie aufgrund ihrer Position als Insassen schutzlos der Willkür der Wärter ausgeliefert sind. An dieser Stelle soll den beiden nochmals für dieses Gespräch gedankt werden.

Du stehst kurz vor deiner Level I-Ausschaffung.1 Wirst du dich dieser widersetzen?


B.:
Ich werde mit Level I ausgeschafft, ich halte es nicht aus, diese verschiedenen Stufen durchzumachen und dann beim dritten Mal auf solch gewaltvolle Weise ausgeschafft zu werden. Nein, darauf habe ich keine Lust. Momentan weiss ich noch nicht, wann ich genau ausgeschafft werde. Das wird mir erst etwa zwei bis drei Tage vorher mitgeteilt. Es bringt ohnehin nicht viel, sich zu widersetzen, da dies nur eine Verlängerung der Haft von zwei bis drei Wochen bedeuten würde.

N.: Das Problem ist, dass wir Ausländer sind und der Mensch dabei vergessen geht.

B.: Ich bin hier aufgewachsen und jetzt werde ich ausgeschafft. Ich habe keine Chance, bei meinem Kind zu bleiben. Ich möchte doch hier sein, mich um meine Familie kümmern und mein Kind aufwachsen sehen!
Eigentlich wollte ich ja nie Kinder in diese Scheisswelt setzen. Doch jetzt habe ich eines und jetzt muss ich gehen. Ich werde die ganzen Entwicklung meines Kindes nicht mitbekommen. Wie es zum ersten Mal isst, spricht oder geht.

Wie sieht denn euer Alltag hier im Bässlergut-Gefängnis aus?

B.: Um 07:15 machen die Wärter unsere Zelle auf, um 17 Uhr abends wird diese wieder geschlossen. In unserer Zelle sind wir zu dritt, es gibt einen Fernseher. Zudem gibt es auf unserem Stock einen Gemeinschaftsraum mit einer Küche, zwar mit einem grossen Tisch, aber nur mit zwei Stühlen. Gemütlich ist es da nicht.

N.: Kann man rausgehen, dann verteilt sich das ein bisschen: Ein paar gehen raus, ein paar bleiben drin. Pro Tag können wir einmal für eine Stunde und einmal für zwei Stunden in den Innenhof gehen.

Wie sieht es mit dem Essen aus?

B.: Morgens um 07:15 gibt es Frühstück, dann wieder etwas um 11 Uhr und um 17 Uhr abends. Nachbestellen liegt nicht drin. Einmal fragten wir die Wärter, ob wir eine Pizza bestellen könnten und diese dann selber bezahlen. „Fuck you“, kriegten wir zur Antwort.

N.: Einmal in der Woche ist ein kleiner Kiosk geöffnet, wo wir Lebensmittel, Getränke, Zigaretten und andere Dinge einkaufen können. Der ist aber völlig überteuert: Eine M-Budget Schokolade kostet hier ca. 2.-.

B.: Dann arbeite ich 2,5 Stunden und kann doch fast nichts kaufen!

Was arbeitet ihr denn?
N.: Abends kommen die Wärter jeweils und fragen, wer am nächsten Tag arbeiten möchte. Die Arbeitszeiten sind am Montag, Mittwoch und Donnerstag von 8:00 bis 10:30 und am Dienstag und Freitag von 14:00 bis 16:30.

B.: Jeweils zwei bis drei Leute sitzen zusammen an einem Tisch, um zu arbeiten. Gesprochen werden darf nicht. Wasser darf man nur auf der Toilette vom Wasserhahn trinken. Es ist nicht erlaubt, während der Arbeit Wasser zu trinken.

Was sind das für Arbeiten?
B.: Momentan machen wir vor allem Weihnachtsartikel: Wir stellen beispielsweise verschiedene Verpackungen zusammen und kleben Teile aneinander. Die fertigen Packungen werden dann nach Belgien geschickt, wo verschiedenes Zeug reingepackt wird. Von dort geht es weiter nach China. Ich weiss aber nicht, wer hinter diesem Auftrag steckt.

N.: Für die zweieinhalb Stunden erhält man jeweils 7.50.

B.: Letzte Woche war ich am Arbeiten als meine Frau und mein Kind vorbeikamen. Am Empfang fragten sie nach mir. Aber niemand kam und informierte mich darüber, dass meine Familie da sei und mich besuchen wolle. Also gingen sie wieder. Als ich das später erfuhr, fragte ich den Wärter, weshalb er mir nichts gesagt habe. Frau und Kind sind mir doch wichtiger als diese Scheiss 7,50! „Das sind eben die Regeln: Wenn du dich zur Arbeit einträgst, musst du arbeiten“, erhielt ich von diesem zur Antwort.

N.: Die Arbeit wird manchmal auch als Strafmittel genutzt, indem man zur Strafe nicht arbeiten darf und somit auch kein Geld zur Verfügung hat.

Und arbeitet ihr?
B.: Ja, ich arbeite regelmässig. Aber nicht wegen des Geldes. Nein, der einzige Grund ist, dass ich ab und zu meine Ruhe brauche. Denn diese Möglichkeit habe ich sonst nicht. Ständig hört jemand Musik, telefoniert oder spricht mit anderen Personen. Indem ich zur Arbeit gehe, kann ich diesem Trubel für kurze Zeit entfliehen.

N.: Nein, ich arbeite nicht mehr. Ich habe vor drei Monaten während der Arbeit einen kleinen Karton kaputt gemacht. Der war knapp eine A4-Seite gross…

B.: Das kann doch mal passieren, das ist uns allen schon passiert!
N.: …dafür habe ich fünf Tage Bunker gekriegt. Seit diesem Erlebnis arbeite ich nicht mehr. Ich will es nicht riskieren, noch einmal in die Isolationszelle zu gehen.

Kannst du uns etwas über diesen Bunker erzählen? Was kann man sich darunter vorstellen?
N.: Das ist eine Einzelzelle, die zur Bestrafung eingesetzt wird. In meinem Fall also für das Kaputtmachen einer kleinen Kartonschachtel bei der Arbeit. Während der Zeit im Bunker durfte ich einmal pro Tag alleine im Innenhof spazieren gehen, ansonsten verbrachte ich die gesamte Zeit isoliert in einem Raum, der ein kleines Fenster und einen Fernseher hat. Nach fünf Tagen konnte ich schliesslich wieder in meine andere Zelle zurück.

Was für eine medizinische Versorgung habt ihr?
B.: Es gibt zwei Ärzte, an die man sich wenden kann. Der eine ist aber überhaupt nicht hilfsbereit. Er verhält sich uns gegenüber aggressiv, da es oftmals sprachbedingte Missverständnisse gibt. Dem sind wir so scheissegal wie den Wärtern. Das merkt man daran, wie sie mit dir sprechen und wie sie dich generell behandeln.
Einer, der mal in unserer Zelle war, schluckte eine grosse Menge Shampoo. Er hatte psychische Probleme und lange nichts mehr gegessen, dafür rauchte er wie eine Maschine. Meint ihr, die Wärter seien sofort gekommen, als wir um Hilfe riefen? Erst nach einer Dreiviertelstunde waren sie hier. Möglich wäre das in fünf Minuten. Das ist auch wieder ein Zeichen dafür, dass wir hier nicht ernst genommen werden.

N.: Vor zwei Wochen bat ich meinen Psychiater, bei dem ich vor zwei Jahren war, er möge doch vorbeikommen, da es mir nicht gut gehe. Die Gefängniswärter sagten mir jedoch, dass das nicht ginge und ich das nicht tun dürfe.

Läuft man beim Drehkreuz vorbei zum Besucherraum, sieht man auf der rechten Seite einen Schrank voller Medikamente. Kriegt ihr denn Medikamente? Und was sind das für Medikamente?
B.: Ja, wir kriegen Medikamente. Sämtliche Medikamente, die wir einnehmen, sind aber bereits in Wasser aufgelöst. Es ist nicht möglich, dass du die Medikamente unaufgelöst – also in der Originalverpackung – kriegst. Ich wette, da hat es zusätzlich noch Temesta drin. Als ich fragte, ob ich mein Medikament in der Originalverpackung kriegen kann, wurde mir gesagt: „Halt deine Fresse, du Scheissausländer.“
Seither nehme ich keine Medikamente mehr ein, denn ich sehe, was mit allen anderen passiert: Entweder man wird ruhig und schläft oder man wird aggressiv. Dasselbe passiert übrigens auch nach dem Essen: Wir gehen alle nach dem Essen schlafen. Das ist doch nicht normal! Oder geht ihr etwa jedes Mal schlafen, wenn ihr gegessen habt? Da ist bestimmt auch irgendein Beruhigungsmittel drin.

Wie ist eure Beziehung untereinander?
B.: Wir sind grösstenteils für uns – jeder für sich in seinem Teil der Zelle. Jeder versucht die Probleme, die er hat, mit sich zu klären. Gerade wenn jemand schlecht behandelt wird, kann diese Person sehr aggressiv werden. Dann ist es besser, wenn man diese Person vorerst in Ruhe lässt. Zudem haben wir auch grundsätzliche Kommunikationsschwierigkeiten, da sehr viele verschiedene Sprachen gesprochen werden.

Man sagt, die Schweiz sei ein neutrales Land. Aber das stimmt einfach nicht. Die Schweiz ist ein Polizeistaat

Gibt es gemeinsame Widerstandsformen?
B.: Jemand trat einmal für sieben Tage in den Hungerstreik. Die Wärter steckten diese Person in den Bunker und verabreichten ihr irgendwelche Medikamente. Auch in unserer Zelle dachten wir schon ein paar Mal über einen gemeinsamen Hunger- oder Arbeitsstreik nach und waren das auch schon am Planen. Aber immer gab es ein paar, die nicht mitmachen wollten. Das verstehe ich auch: Wer Raucher ist, muss halt einfach arbeiten gehen. Das ist der Grund, weshalb solch geplanter Widerstand scheiterte.

N.: Eigentlich könnte man sagen, dass das Überleben hier darin besteht, stabil zu bleiben. Denn das wollen sie; uns psychisch kaputtmachen.

Spürt ihr eine Solidarität von „Aussen“?
B.: Nein, und wenn dann nur durch Besuche. Wer keine Besuche erhält, spürt keine Solidarität. Sobald du im Knast bist, bist du stigmatisiert, hast du keine Freunde mehr. Wenn du im Knast bist, sind plötzlich alle deine Freunde weg und niemand kommt dich besuchen. So läuft das.

Gegen wen richtet sich eure Wut?
N.: Als ich noch draussen war, wusste ich nicht, dass der Ausschaffungsknast so ist. Nun bin ich seit vier Monaten hier drin. Was hier mit Menschen gemacht wird, macht man sonst nirgendwo. Wenn ich mal rauskomme, werde ich in die Schweiz zurückkehren und diesen Ausschaffungsknast vernichten. Das ist mein Ziel geworden, seit ich hier drin bin.

B.: Als Ausländer kannst du wenig machen, um deine Situation zu ändern. Sogar wenn man hier geboren ist und einen Schweizer Pass hat, bleibt man für immer ein Ausländer. Dieser Blocher, der verdient jedes Jahr Millionen und hetzt gegen die Ausländer. Wer arbeitet denn bei ihm? Wer putzt sein Klo? Und der sagt Scheissausländer! In dieser Welt gewinnt der Stärkere. Das ist unsere Realität. Man sagt, die Schweiz sei ein neutrales Land. Aber wer liefert Waffenmaterial in die ganze Welt?
Man sagt, die Schweiz sei ein neutrales Land. Aber das stimmt einfach nicht. Die Schweiz ist ein Polizeistaat. Sobald die Staatsanwaltschaft entschieden hat, ist Feierabend. Ist dein Anwalt bei der SVP? Feierabend. Die dürfen uns Ausländer so stark und so oft beleidigen, wie sie wollen. Wir sind hier und müssen die Fresse halten.