Der Versuch einer Schliessung der zentralen Mittelmeerroute

Im November 2017 trafen sich Minister*innen aus 13 Staaten und Vertreter*innen verschiedener zwischenstaatlicher Organisationen zum dritten Treffen der Kontaktgruppe zentrales Mittelmeer in Bern. Sommaruga erklärte in allen Medien, wie dieses Gremium 14’000 Flüchtlinge vor dem Ertrinken gerettet habe und sich um die Verbesserung der Lage von gefangenen Migrant*innen in libyen einsetze. Das klingt toll, aber was steckt dahinter?

Dahinter steckt, dass die libysche Küstenwache, finanziell von den Teilnehmerländern unterstützt, 14’000 Menschen kurz nach dem Ablegen von den Booten geholt hat und sie in libysche Internierungslager einsperrte.1 Die Kontaktgruppe verfolgt nämlich hauptsächlich eine Politik, die die Migrationsthematik möglichst weit weg von europa wegschieben möchte. Dem entsprechen die drei wichtigsten Prioritäten, die die Kontaktgruppe formuliert:

1. Die Stärkung der libyschen Küstenwache.
2. Der Ausbau der Schutzkapazitäten für Migrant*innen in libyen.
3. Die Kontrolle der libyschen Südgrenze.2

Es ist dieselbe Politik, die vor einem Jahr in der Schliessung der Balkanroute durch einen zweifelhaften Deal mit der türkei mündete. Diesen Sommer wurde sie, unter weitaus weniger Beachtung der Öffentlichkeit als damals, mit der teilweisen Schliessung der zentralen Mittelmeerroute fortgesetzt. Dies gelang vor allem dank den Bemühen des italienischen Ministerpräsidenten Minniti, der zahlreiche offizielle wie auch korrupte Deals mit verschiedenen Warlords, Milizen, der Küstenwache und Bürgermeistern in libyen aushandelte. Mit den Deals konnten die verschiedenen libyschen Akteur*innen offenbar überzeugt werden, die Abfahrt der Flüchtlingsboote zu verhindern.

…dass der Wohlstand europas auf den Säulen Gewalt, Ausbeutung und Krieg steht.

Die Seehoheitszone libyens wurde auf 100 Kilometer vor der Küste des Landes ausgeweitet, zuvor lag sie bei 12 Kilometern. Das bedeutet, dass innerhalb dieses Streifens nur noch Boote der libyschen Küstenwache patroullieren und Seenotrettungen durchführen dürfen. Ein Rettungsboot, das sich in die 100 Kilometer Zone begab, wurde von der libyschen Küstenwache mit scharfer Munition beschossen. Die finanzielle Unterstützung eben dieser Küstenwache und der libyschen Einheitsregierung, die die Internierungslager betreibt, ist für die eu laut Sigmar Gabriel angeblich alternativlos.3
Gleichzeitig zwang die eu die verschiedenen Hilfsorganisationen, die auf dem Mittelmeer aktiv sind, einen Kodex zu unterschreiben. Dieser Kodex beinhaltet die Pflicht zur Mitnahme bewaffneter Polizist*innen auf den Rettungsbooten so wie das Verbot der Übergabe geretter Personen an grössere Schiffe. Letzteres hätte zur Folge, dass kleine Schiffe nach einer Rettung immer direkt nach italien fahren müssten und somit für mehrere Tage keine weitere Rettungen durchführen könnten. Es ist erfreulich, dass einige Organisationen sich dieser Politik widersetzten und den Kodex nicht unterschrieben. Ärzte ohne Grenzen schreibt, dass “der Verhaltenskodex die Perspektive zu verankern scheint, dass Staaten die Lebensrettung auf Nichtregierungsorganisationen auslagern können, um die eigenen Bemühungen auf Marine- und Militäroperationen konzentrieren zu können.”4
Den Organisationen, die den Kodex nicht unterschrieben, wurde gedroht, dass ihnen das Anlaufen italienischer Häfen verboten werde. Ausserdem wurden in mehreren Fällen verdeckte Ermittler*innen und Wanzen auf die Schiffe geschafft und ein Schiff der Organisation Jugend rettet wurde von der italienischen Polizei beschlagnahmt. Eine mediale Kampagne propagierte die zynische Behauptung, die NGO’s würden mit ihren Rettungen einen Pull-Faktor darstellen und seien deshalb die wahren Verantwortlichen für die vielen Toten. Zweifelsohne ein Versuch, die wertvolle Arbeit der Hilfsorganisationen zu diffamieren.

Die von der Kontaktgruppe Zentrales Mittelmeer gewählte Strategie zeigte Wirkung. Seit Juli sind die versuchten Überfahrten von libyen nach italien auf einem Dauertief und die Internierungslager in libyen füllen sich.5 Menschen werden in libyen in die Sklaverei und in Gefangenenlager gedrängt und Vergewaltigungen und Misshandlungen ausgesetzt.6 Ein Zitat von Sommaruga verdeutlicht den doppelten Profit dieser Strategie für die europäischen Staaten. Einerseits konnte der gewaltvolle Umgang mit migrierenden Menschen ein weiteres Stück vom befriedeten europa entfernt werden, andererseits können sie ihr humanistisches Mäntelchen zur Geltung bringen:

Wir müssen die Schwächsten rasch aus den libyschen Haftzentren rausholen können. Die Situation dort ist absolut katastrophal. Darunter leiden auch alle anderen Migranten, etwa die vielen Arbeitsmigranten, die in libyen gestrandet sind und nun dort festsitzen. Sie müssen wir unterstützen, damit sie freiwillig in ihre Heimatstaaten zurückkehren. Denn in europa erhalten sie kaum Asyl, riskieren mit einer Fahrt über das Mittelmeer aber ihr Leben.7

Dass trotz den verstärkten Abwehrmechanisem weiterhin Migrant*innen ankommen, verdeutlicht allzu sehr, dass der Wohlstand europas auf den Säulen Gewalt, Ausbeutung und Krieg steht. Es ist ein Bild das nicht ins europäische Selbstverständnis passt. Der Schwerpunkt der Strategie liegt meiner Meinung nach darin, europa vor den Folgen der Kriege und der Not, für die es selbst verantwortlich ist, abzuschirmen. Dass europa dabei kein bisschen davor zurückschreckt, militärische Mittel zu ergreifen, scheint eine logische Konsequenz zu sein.
europa führt einen Krieg gegen die Migrant*innen, der sich auf verschiedenen Ebenen abspielt. Ja, richtig gelesen, Krieg. Denn es ist ein Krieg. Ein Krieg an der Grenze, gegen Migrant*innen, ein Krieg, der der Ausbeutung und der Machterhaltung aber auch der Befriedung europas und dem Erhalt von Privilegien dient. Dies zeigt die Bewachung der Grenzen durch das Militär in libyen wie auch in europa. Dies zeigen die Lager, in die Menschen gesperrt werden, in libyen wie auch in europa. Und dies zeigen die durch das Grenzregime getöteten Menschen, in libyen wie auch in europa.

Der Schreibende hat zur Entstehung dieses Textes eine kleine Online-Recherche betrieben. Seiner Abscheu gegenüber den Nationalstaaten und ihrem Grenzregime verleiht er in diesem Text auch durch das Kleinschreiben von Ländernamen Ausdruck.