«Ich erwarte nichts Grossartiges mehr vom Leben»

Fahim sitzt vor uns und nickt uns freundlich zu. Das soll vielleicht bedeuten, dass wir mit dem Interview beginnen können. Der junge Mann scheint sich nicht allzu stark dafür zu interessieren, was wir in unserem Leben machen, wie wir unser Geld verdienen oder ob wir einer Organisation angehören. Fahim befindet sich seit einigen Monaten im Ausschaffungsgefängnis Bässlergut, wie er uns erzählt. Davor verbrachte er mehrere Jahre in unterschiedlichen Strafanstalten – zuerst in einem Massnahmenvollzug für junge Erwachsene, dann in der Untersuchungs-, Straf- und zuletzt in der Ausschaffungshaft. Er sei schon viel zu lange im Gefängnis und habe seine Strafe längst abgesessen.

Auf die Frage, wie sich die Alltagsgestaltung in der Strafhaft zu der in der Ausschaffungshaft unterscheidet, nennt er als ersten Punkt die Arbeitsmöglichkeit. In der Strafhaft war Fahim gemeinsam mit acht weiteren Insassen sowohl für das Mittags- als auch Abendessen zuständig. Gekocht wurde für 140 Personen.

Das war eine anstrengende Arbeit, bei der ich abends merkte, wie hart ich gearbeitet hatte.

Für 6.5 Stunden Arbeit pro Tag bekam Fahim 22 Schweizer Franken. Fahim gelang es so, Geld anzusparen, was der Grund ist, weshalb er nun im Bässlergut nicht zur Arbeit geht.

Bedingungen im Knast

Im Bässlergut verstehe man sich untereinander grundsätzlich gut, auch wenn es schwierig sei, sich mit den anderen zu unterhalten, da die meisten Englisch, Französisch oder Arabisch sprechen und kein Deutsch können. Seine Zeit schlägt er mit schlafen tot. Mit den anderen Gefangenen sowie den Wärtern habe er nicht viel zu tun. Letztere sehe er nur, wenn er Medikamente (gegen Magenaufstossen), einen Rasierapparat oder Essen bekommt. Ansonsten sei er viel für sich alleine. Bis vor kurzem teilte Fahim die Zelle mit einem anderen Insassen. Seit dieser ausgeschafft wurde, ist Fahim alleine in seiner Zelle.

Das macht mir nichts. Im Gegenteil. Ich bin sogar lieber alleine. Wie die Stimmung im Gefängnis ist oder wie es den anderen geht, interessiert mich nicht. Ich habe es langsam gesehen.

In Fahims Station werden momentan zehn Personen gefangen gehalten – alle mit dem Ziel, baldmöglichst ausgeschafft zu werden. In der Station gibt es sowohl Einzel-, als auch Zweier-, Vierer- und Achterzellen sowie einen Gemeinschaftsraum, welcher mit einem Töggelikasten, Teekocher, Tisch, sowie drei Stühlen, ausgestattet ist.

Gerade gestern wurde im Gemeinschaftsraum eine Kamera installiert. Wahrscheinlich deshalb, weil einige Insassen beim Töggelen eine Zigarette rauchten,

berichtet uns Fahim. Im Gegensatz zur Strafhaft sei das Essen hier miserabel, so Fahim. Manchmal gebe es abends nur Suppe und ein Stück Brot. Gegessen werde in der Zelle, jeder für sich.

Drohende Ausschaffung

Dass er ausgeschafft werden soll, bekam Fahim zum ersten Mal in einem Brief mitgeteilt. Darin waren seine begangenen Straftaten aufgelistet und die Begründung der Ausschaffung notiert. Zwar schob Fahim den Brief vorerst beiseite. Vergessen hat er ihn jedoch nie, wie er uns erzählt. Im Grunde glaubte er stets daran, nach dem Absitzen der Strafhaft in die Freiheit zu kommen. Den Brief erhielt er in einer Zeit, in der er sich auf der Flucht befand. Denn vom offenen Massnahmenvollzug ist Fahim abgehauen und untergetaucht – bis er sich wenige Monate später selber stellte. Doch statt der Weiterführung des Massnahmenvollzugs wurde Fahims Verhalten mit der Einweisung ins Untersuchungsgefängnis sanktioniert, wo er ein Jahr verbrachte.

Im Untersuchungsgefängnis bist du 23 Stunden im Zimmer. Eine Stunde darfst du raus. Erst als ich mich im Rahmen eines Briefes an die zuständigen Behörden wandte, konnte ich das Untersuchungsgefängnis verlassen.

Wie es dazukam, dass er so lange im Untersuchungsgefängnis sein musste, kann er sich nicht erklären.

Nach der Untersuchungshaft folgte die Strafhaft, in der sich Fahim insgesamt zwei Jahre und neun Monate befand.

Die Behörden dort sind die schlimmsten, was die Beantragung von frühzeitiger Entlassung aufgrund guter Führung sowie Urlaubsbewilligungen angeht. Ich bekam weder Urlaub zugesprochen, noch wurde ich wegen guter Führung früher entlassen. Das war jedoch nicht nur bei mir so, sondern bei den meisten anderen auch

schildert Fahim. Zwei Wochen vor Haftentlassung teilte man ihm mit, dass er zur Vorbereitung seiner Ausschaffung in die Ausschaffungshaft kommen würde. Seitdem kämpft Fahim für seine Freilassung. Ein Haftentlassungsgesuch, welches beim Appellationsgericht eingereicht wurde, wurde abgelehnt. Zwar besitzt Fahim – wie er uns erzählt – noch Hoffnung, jedoch werde diese von Tag zu Tag kleiner. Auf die Frage, was er machen würde, wenn er tatsächlich ausgeschafft wird, meint Fahim, dass er maximal drei Monate in Sri Lanka verbringen werde.

Danach werde ich nach Europa zurückkehren. Entweder nach Deutschland oder Österreich, wo ich mindestens fünf Jahre sein muss, bevor ich von dort in die Schweiz einreisen kann.

Kontakte in Österreich hat er schon, wie er berichtet. Er kennt dort einen Boxclub, der ihn gerne aufnehmen würde und ihm auch bei einer Stellensuche behilflich sein könte. Fahim sandte dem Boxclub Videos zu, die ihn beim Boxen zeigen.

Knast & Ausschaffung aus Fahims Blickwinkel

Für Fahim bedeutet ein B-Ausweis dasselbe wie ein F-Ausweis oder ein C-Ausweis. Sein jüngerer Bruder sowie sein Vater besitzen die C-Bewilligung, seine Mutter die B-Bewilligung. Weshalb die Mutter trotz Erwerbstätigkeit und langer Aufenthaltsdauer in der Schweiz keine C-Bewilligung kriegt, weiss er nicht. Sein älterer Bruder ist ebenfalls in Haft, auch ihm droht eine Ausschaffung. Vor fünf Jahren wurde ein Freund von ihm in die Elfenbeinküste ausgeschafft. «Dem geht es dort schlecht, da alle seine Angehörigen in der Schweiz sind», meint Fahim. Fahim ist der Meinung, dass eine Strafhaft unter Umständen Sinn macht. Gerade wenn es darum gehe, bei jemandem eine Einsicht herbeizuführen, könne eine Gefängnisstrafe angebracht sein. Als wir Fahim fragen, ob er sich selbst eine Gefängnisstrafe ausgesprochen hätte, antwortete er:

Ich habe viele Straftaten begangen. Viele, die selbst die Polizei nicht weiss. Für all diese Straftaten sind 4.5 Jahre gerechtfertigt. Eine solche Gefängnisdauer habe ich irgendwie verdient.

Dass jemand nach der Haft ausgeschafft werden soll, verstehe er hingegen nicht. Er kann nicht begreifen, wie man alles – selbst die Familie und die Freunde einer Person – wegnehmen kann. Zudem ist es für ihn absurd, für die Integration einer Person viel Geld zu investieren – nur um sie anschliessend auszuschaffen. Fahim betont, dass er sich in all den Jahren stark verändert und viel gelernt habe. Doch dies interessiere die Behörden nicht. Obwohl er keinen Bezug zu Sri Lanka habe, soll er dorthin abgeschoben werden. Nach 17 Jahren Leben in der Schweiz.

Ich habe meine Schuld bezahlt, die Haft abgesessen. Nun warte ich auf ein Wunder.

 

Politik und Perspektiven

Fahim hat sich – bevor er ins Gefängnis kam – nicht gross mit Knästen und Ausschaffungen auseinandergesetzt.

Solange du nicht in dieser Situation bist, erscheint dir das Ganze weit weg.

Fahim weiss nicht, ob er zukünftig gegen Repressionsmassnahmen eines Staates wie Knast oder Ausschaffung kämpfen möchte. Er geht davon aus, dass die Leute dann mit dem Finger auf ihn zeigen und ihn als Kriminellen bezeichnen würden. An eine Demo zu gehen, braucht für ihn viel Mut, da oftmals eine Konfrontation mit der Polizei stattfindet. Auch seine Freunde sind politisch nicht aktiv.

Wenn ich freigelassen werde, möchte ich nichts Anderes tun als Arbeiten, Boxen und die Zeit mit meiner Familie verbringen. Ich erwarte nichts Grossartiges mehr vom Leben.

Die Autorinnen dieses Artikels führten ein Gespräch mit Fahim und erstellten auf Grundlage des Gesagten den vorliegenden Text. Bezüglich des Textes war es Fahim ein Anliegen, von allem Gesagten das Wichtigste zusammenzufassen. Einen Schwerpunkt wollte er nicht setzen. Für das Gespräch dachten sich die Autorinnen Fragen zu unterschiedlichen Themenkomplexen aus. Vor dem Interview wurde Fahim die Möglichkeit angeboten, frei zu berichten. Fahim bevorzugte die Beantwortung der bereits ausgedachten Fragen. Die Autorinnen des vorliegenden Artikels setzen sich seit geraumer Zeit mit dem Bässlergut auseinander. Dabei geht es ihnen um die grundsätzliche Kritik des Gefängnisses. Die Kritik beruht auf der Ablehnung von Herrschaft der Einen über die Anderen.