Wie Afrikaner*innen für Papiere, Bildung und eine Arbeit kämpfen – und wie Europäer*innen mit Migration umgehen

Ich bin dreissig Jahre alt, komme ursprünglich aus Guinea Conakry und lebe und arbeite nun in Basel. Vor zehn Jahren bin ich aufgrund der Diktatur und familiärer Probleme gezwungen worden mein Land zu verlassen. Meine Reise von Guinea in die Schweiz dauerte fast acht Jahre lang – hier zeichne ich einen groben Entwurf davon:

Ich habe Guinea im Dezember 2006 in Richtung Senegal verlassen, ging anschliessend über Mali, Niger nach Libyen, wo ich drei Monate später ankam. Es war eine Reise durch die Wüste und durch die Hölle – nicht alle aus unserer Gruppe haben dabei überlebt. In Libyen angekommen realisierte ich, dass es dort viele Probleme mit der Polizei gab. Menschen konnten sich nicht frei bewegen. Mein Pass wurde zerrissen und ich für drei Monate ins Gefängnis in der Nähe von Tripolis gesperrt. Während dieser Zeit wurde ich gefoltert und misshandelt – ich und unzählige andere Afrikaner haben viel gelitten. Aber wieder durch die Wüste zurückzukehren war keine Option, ich würde diese Reise nicht nochmals überleben.

Als ich aus dem Gefängnis entlassen wurde und in Tripolis ankam, war es schwierig, eine Arbeit sowie Hilfe zu finden, wenn man krank ist. Denn versucht man ins Krankenhaus zu gehen, so werden sie die Polizei rufen um einen zu verhaften. Das ist der Grund warum viele Migrant*innen sehr viel gelitten haben. Manchmal versuchte die Polizei in der Nacht in das Haus zu kommen um dort Menschen zu verhaften. Ich habe viele Männer, Frauen und Kinder gesehen, die immer wieder misshandelt wurden. Dies ist der Grund warum ich finde, dass Europa kein Recht dazu hat, Menschen zurück nach Libyen auszuschaffen. Und seit ich dort gewesen bin, ist es nur noch schwieriger geworden als vorher, als Gadhafi noch an der Macht war.

Ich entschloss mich dazu, Libyen auf dem einzig möglichen Weg, dem Boot, zu verlassen. Der erste Versuch endete in einer Kata- strophe – viele Menschen sind dabei gestorben. Die zweite Fahrt dauerte fünf Tage lang auf offener See. Ich bin am 18 August 2007 mit 28 weiteren Menschen in Malta angekommen. In Malta wurden wir von der Polizei verhaftet und in einem Lager namens Alhalfar in Gewahrsam genommen. In diesem Gefängnis musste ich ein Jahr lang bleiben, andere mussten dort bis zu eineinhalb Jahre bleiben. In Malta werden nur Afrikaner*innen so behandelt – andere werden entweder direkt in ihr Heimatland ausgeschafft oder ihnen wird gewährt, in einem Lager zu wohnen. Das offizielle Statement um die Inhaftierung zu rechtfertigen lautet, dass Westafrikaner*innen Träger*innen von Infektionskrankheiten sein können und aus diesem Grund isoliert werden müssen. Das Schlimme am Gefängnis war, dass wir nicht darüber informiert wurden, was mit uns geschieht, wie lange wir da drinnen bleiben müssen und warum wir überhaupt verhaftet worden sind.

Selbstorganisation ist etwas positives, wenn es geschieht. Aber es ist nicht einfach. Denn wir Migrant*innen sind keine einheitliche Gruppe.

Ich hatte das grosse Problem, nachts aufgrund von schlimms- ten Albträumen nicht schlafen zu können. Aber als ich den Arzt treffen und ihm von meinen Problemen erzählen konnte, gab er mir immer nur Schlaftabletten. Das half überhaupt nichts, denn selbst mit Medikamenten wacht man mit schrecklichen Bildern im Kopf auf und kann dann nicht mehr einschlafen und fühlt sich schwach und kraftlos. Ein anderes grosses Problem war, dass es keine*n einzige*n Übersetzer*in gab. In diesem Gefangenenla- ger gab es mehrere Wohnungen und jede Wohnung hatte drei Zimmer. Es gab zwei Toiletten für über 500 Menschen und nur einen Fernseher.

Nachdem ich das Gefängnis verlassen hatte, habe ich für neun Monate in einem Krankenhaus gearbeitet. Weil ich gemerkt habe, dass ich in Malta keine Hilfe bekommen werde um wieder gesund zu werden, entschloss ich mich dazu, nach Italien zu gehen. In Italien angekommen, liessen sie mich wissen, dass ich zurück nach Malta kehren müsse, weil ich meine ersten Fingerabdrücke dort habe (Dublin-Vertrag der EU).

So musste ich die Reise fortsetzen und kam im November 2009 in den Niederlanden an. Dies war das erste Mal als ich herausfand, dass ich traumatisiert war. Ich wurde zu einem Psychiater geschickt und bekam dort die Hilfe die ich benötigte. Ich bekam Medikamente und ging zur Schule – ich lernte lesen und schreiben. Nach zweieinhalb Jahren in den Niederlanden, wurde ich als eine wieder „gesunde Person“ eingeschätzt und, basierend auf dem Dublin-Abkommen, zurück nach Malta, geschickt.

Zurück in Malta, wurde ich wieder ins Gefängnis gesperrt, da ich das Land ohne einen Pass oder eine Bewilligung verlassen hatte. Ich war für weitere sechs Monate eingesperrt. Nach all dem beschloss ich, von der Vergangenheit zu lernen und meine Erfahrungen mit anderen Migrant*innen zu teilen um ihnen dabei zu helfen, sich in der neuen Kultur, im neuen System und der neuen Gesellschaft zurechtzufinden. Ein weiteres Ziel von mir ist es, junge Menschen in Afrika über die Migration nach Europa zu informieren; dabei nicht die Schule zu verlassen und viel zu studieren um eine gute Ausbildung zu bekommen. So können sie in ihren eigenen Ländern aufwachsen, ihr Land zum Besseren verändern und müssen nicht ihr Leben und ihre Würde auf dem gefährlichen Weg nach Europa aufs Spiel setzen.

Selbstorganisation ist etwas positives, wenn es geschieht. Aber es ist nicht einfach. Denn wir Migrant*innen sind keine einheitliche Gruppe. Zum Beispiel Menschen aus dem Senegal und aus Guinea oder Menschen aus Nigeria und Menschen aus Ghana, die passen nicht zusammen. Das ist ein grosses Problem. Wenn man es schaffen würde dieses Problem zu lösen, könnten die Dinge besser laufen. In Malta werden drei Hauptkategorien von Migrant*innen unterschieden: Menschen aus dem Nahen Osten, aus Ostafrika und aus Westafrika. Jede Gruppe hat unterschiedliche Chancen auf einen legalen Status. So vereinigen sich die Ostafrikaner (die bessere Chancen haben) nicht mit den Westafrikanern (die fast keine Chancen haben) um gegen die Probleme zu kämpfen. Nur Westafrikaner versuchen sich selbst zu organisieren. Und auch innerhalb der Westafrikaner gibt es vielleicht fünf von tausend, die die Situation, die Menschen und das Land kennen; diese treten dem Kampf allerdings nicht bei, aus Angst diesen Vorteil zu verlieren. Des Weiteren benötigt man einen Ort, wo man sich treffen kann. Ich erinnere mich zum Bei- spiel daran, als wir versucht haben ein Treffen zu organisiere um über die humanitäre Gnadenfrist zu diskutieren. Wir trafen uns in einem Fussballstadion. Das erste Treffen war gut, es sind viele Menschen gekommen. Während des zweiten und dritten Treffens, war die Polizei schon da. Seit die Polizei dort auftauchte, kamen die Menschen nicht mehr zum Treffen.

In Europa wurde ich unterrichtet, ich lernte meine Rechte kennen, ich lernte, dass hier etwas mehr Gleichheit herrscht und, dass man für seine Rechte kämpfen kann. In Malta schaltete ich eine Face- book Seite mit dem Namen „R. Know More Net- work“ auf und fuhr dann damit fort, die offenen Lager zu besuchen, mit den Migrant*innen über die Wichtigkeit der Selbstorganisation, Bildung und das Wissen der lokalen Kultur zu sprechen. Das „R.“ steht für den Namen meiner Mutter, Ramatah. Viele Afrikaner haben die Tendenz ihre Gefühle, Probleme und Schwierigkeiten für sich zu behalten und nicht über ihre Erfahrungen zu sprechen. Aber wir müssen den Europäern erzählen, wer wir sind und warum wir unser Heimatland verlassen haben, damit sie verstehen können.

Ich hasse die Grenze

Ich hasse die Grenze!
Die unsichtbare Linie…
Doch! Sie grenzt mich aus
und lässt mich nichts sehen…
Die Linie, die nirgendwo gezeichnet ist, ausser in den menschlichen Gedanken!

Ich hasse die Grenze!
Die Linie, die Zustimmung braucht,
um überschritten zu werden…
Die Zustimmung von den Menschen,
die meinen Seelenflug gar nicht verstehen! Die Grenzen bilden manchmal Distanz zwischen mir und meinen Wünschen! Manchmal bildet sie sich
zwischen mir und dir!
Die Grenze bildet sich sogar
zwischen meinem Körper und meiner Seele!

Ich bin ein Erdling!
Ich möchte die Welt erkunden und anschauen!
Dich anschauen und bewundern!
Ich will mich anschauen!
Deswegen hasse ich die Grenze! die Distanz! Die Differenz!

Wie die Waffenhändler von der Tragödie der Flüchtlinge profitieren

Stets versucht die EU, die Schuld auf die Menschenhändler abzuwälzen. Dies hat dazu geführt, dass die Tätigkeiten der EU nicht kritisiert werden.

Der Waffenhandel profitiert von den Konflikten im Nahen Osten von zwei Seiten: Einerseits werden für die Kriege in dieser Region viele Waffen benötigt und andererseits werden die Grenzen hochgezogen und militarisiert zum Schutz vor Geflüchteten. Diese sind jedoch eine Konsequenz dieser Konflikte: Der sogenannte Flüchtlingsstrom ist das Resultat von den durch den Waffenhandel ermöglichten Bürgerkriege und Gewalt.
Internationale Waffenproduzenten haben ein Interesse daran, dass der Mittlere Osten unsicher bleibt, denn dies verschafft ihnen zukünftige Arbeit. Europäische Länder helfen diesen Firmen, ihr Ziel zu erreichen, weil auch sie von diesen Exportgeschäften profitieren. Einerseits werden Waffen direkt in Krisenregionen gebracht. Andererseits betreibt die EU eine Migrationspolitik, in deren Zentrum das Militarisieren von Grenzen steht. Viele Gruppen in Grenzregionen erhalten von der Europäischen Union Geld, um ihre Grenzen zu militarisieren und zu schliessen mit dem Ziel, Flüchtlingen den Weg nach Europa zu verunmöglichen. Auch dadurch werden mehr Waffen benötigt. Laut einem Bericht der UN wurden von 2005 bis 2014 von der EU Waffen im Wert von mehr als über 82 Milliarden Euro bestätigt, die anschliessend in den Mittleren Osten/Nordafrika gesendet wurden. Dieser Bericht zeigt genau auf, dass die Gewinner dieses Waffenspiels sich nicht im Nahen Osten befinden und folglich auch nicht von den Konsequenzen in Mitleidenschaft gezogen werden (Stichwort: Syrien).
Trotz Einschränkungen und Embargos  füttern die Waffenproduzenten den Krieg mit technisch immer fortschrittlicheren Waffensystemen. So wird gewährleistet, dass der Krieg andauert. Viele Informationen über den Waffenhandel gelangen nicht an die Öffentlichkeit, oft werden die Geschäfte auf illegalem Weg abgewickelt. Es liegt jedoch auf der Hand, dass dieser Handel nur möglich ist, weil er sowohl von den europäischen Regierungen als auch von militärischen Institutionen in den Krisengebieten meistens gefördert und gesichert, in manchen Fällen zumindest toleriert wird. Ein Waffenhändler allein könnte ohne diese Unterstützung ein solches Geschäft nicht durchführen. Die besser ausgerüsteten Grenzen  sorgen dafür, dass die Flüchtlinge sich für einen gefährlicheren Weg entscheiden müssen. Und das heizt den Menschenhandel an und treibt die Preise in die Höhe. Menschenrechte spielen hier keine Rolle, ausser für Werbezwecke. Die Politiker missbrauchen diese Situation, um ihre nationalen Interessen durchzusetzen und tarnen dieses Vorgehen mit dem Deckmantel der Menschenrechte. Flüchtlinge werden dadurch nicht gerettet. Stets versucht die EU die Schuld auf die Menschenhändler abzuwälzen. Dies hat dazu geführt, dass die Tätigkeiten der EU nicht kritisiert werden. Experten und Menschenrechtsorganisationen warnen seit Jahren vor diesem Problem. Aber diese Warnung wurde ignoriert. Die Zahl der Todesopfer und die Anzahl der Menschen, die gezwungen sind, wegen eines Konflikts zu emigrieren nimmt stetig zu. Waffenhandel ist gleichzeitig auch immer der Handel mit der Angst der Menschen.

Der Autor dieses Textes schrieb auf, was er während der Flucht erlebt hat und was er von verschiedenen sozialen Netzwerken heraus fand.

Baubeginn Neubau Bässlergut

Im Februar begann der Ausbau des Ausschaffungsgefängnis Bässlergut in Basel. Neben dem bestehenden Gebäude wird ein weiteres gebaut. Das alte Gebäude steht dann nur noch der Ausschaffungshaft zur Verfügung, während das neue dem Strafvollzug dienen wird. Das heisst, dass für beide Haftarten mehr Plätze zur Verfügung stehen werden. Dieser Bau steht für eine Konzentration und Ausweitung der staatlichen Repression und Kontrolle. Ausgeführt wird der Bau von der Firma Implenia und geplant wurde er vom Architekturbüro Bollhalder Eberle.

Das Geschäft mit den Ausschaffungen

Ein Poltern an die Zellentüre des Gefängnisses Bässlergut kündigt die bevorstehende Ausschaffung an: Aren* macht sich bereit zum Widerstand. Weil er seine Zelle nicht verlassen will, versuchen ihn vier Polizisten aus dem kleinen Raum herauszuzerren und treten ihn mit ihren Schuhen. Verprügelt wird Aren, bis es den Polizisten möglich ist, ihm Fesseln anzulegen, die seine Hände und Füsse zusammenpressen. Als Letztes bekommt er einen Helm übergestülpt, man bringt ihn ins vor dem Gefängnis wartende Auto. Es folgt die Fahrt von Basel zum Genfer Flughafen, wo bereits der Sonderflug für die Level-4-Ausschaffung nach Liberia bereit steht.

Die zweite Ausschaffung

Angekommen in der Hauptstadt Monrovia kommt es zum Interview mit dem liberianischen Migrationsamt. Aren versucht, seine Ausschaffung im letzten Moment zu verhindern und erklärt, nicht aus diesem Land zu kommen. Schliesslich bezeichnet er sich als Nigerianer. Die Verneinung und Arens Bezeichnung als einem anderen Staat angehörig, führt zu Verwirrung in dem kleinen Büro, in welchem sich neben Aren nur die zuständige Person des liberianischen Migrationsamts befindet; die Schweizer Polizisten sind nicht zugelassen. Schliesslich weigern sich die Migrationsbehörden, ihn ohne klare Identitätsüberprüfung in das Land aufzunehmen. Ohne Einreiseerlaubnis einer Ausschaffungsmöglichkeit beraubt, fliegen die Polizisten mit Aren wieder denselben Weg zurück in die Schweiz. Hier angekommen wird ihm mitgeteilt, er sei nun frei. Aren wird zurück in die Asylunterkunft in Sissach gebracht. Dort untersucht ihn ein Arzt. Er stellt Verletzungen im Ohr, am Bein und Knie sowie den Händen fest und will Aren wegen seinen inneren Verletzungen im Spital untersuchen lassen. Dazu kommt es jedoch nicht mehr: Ein weiteres Mal wird Aren in der darauffolgenden Nacht klopfend geweckt und wiederum zurück ins Gefängnis Bässlergut gebracht. Er werde nun nach Nigeria ausgeschafft, wird ihm hier mitgeteilt. Eine zweite Ausschaffung in so kurzer Zeit sei unrealistisch, ist sich Aren sicher. Zum einen befindet er sich unmittelbar vor dem Ablauf der 18-monatigen Ausschaffungshaft. Laut geltendem Recht müsste er nach dieser Zeit aus der Haft entlassen werden. Zum anderen ist er sich sicher, dass niemand denkt, dass er Nigerianer sei. Denn als Aren sein Asylgesuch stellte, deklarierte er klar, Liberianer zu sein. Das schweizerische Migrationsamt glaubte ihm jedoch nicht und leitete stattdessen eine Befragung durch eine nigerianische Expertendelegation ein; eine nigerianische Staatsangehörigkeit verneinte diese jedoch.
Doch seine Hoffnung wird enttäuscht: Eine Woche später wird Aren mit einem Frontex Sammelflug nach Nigeria ausgeschafft. Obwohl es kein weiteres Interview mit der nigerianischen Botschaft gab, stellte diese lediglich aufgrund von Aussagen einer Drittperson ein Laissez-passer (Ersatzdokument) aus.

Migrationspartnerschaften

Laut der Asylstatistik des schweizerischen Staatssekretariats für Migration (SEM), ist Aren eine von 101 Personen, die im Jahr 2016 nach Nigeria ausgeschafft wurden. Damit liegt das Land, verglichen mit anderen afrikanischen Ländern, an erster Stelle, gefolgt von Tunesien mit 59 Ausschaffungen.

2011 schlossen die Schweiz und Nigeria eine Migrationspartnerschaft ab. Der Vertrag verpflichtet Nigeria mittels eines Rückübernahmeabkommens dazu, auch unfreiwillige Ausschaffungen zu akzeptieren.

2011 schlossen die Schweiz und Nigeria eine Migrationspartnerschaft ab. Der Vertrag verpflichtet Nigeria mittels eines Rückübernahmeabkommens dazu, auch unfreiwillige Ausschaffungen zu akzeptieren.
Neben Nigeria schloss die Schweiz solche Partnerschaften bereits mit Tunesien, Kosovo, Serbien sowie Bosnien und Herzegowina ab, diesen Oktober kam es zu ersten Vereinbarungen mit Sri Lanka. Ziel der Partnerschaften ist es, „die Zusammenarbeit im Migrationsbereich zu stärken sowie die illegale Migration und deren negative Folgen zu mindern“ (Art. 100 AuG). Neben dieser Definition sind im Ausländergesetz mögliche Abkommen, beispielsweise zur Visumspflicht und Grenzkontrollen, Ausschaffungen und beruflichen Aus- und Weiterbildungen aufgeführt.
Wie diese Abkommen konkret umgesetzt werden, ist unklar. Gesuche zur Einsicht in die mehrere tausend Dokumente umfassenden Vereinbarungen der zwischen der Schweiz und Nigeria abgeschlossenen Migrationspartnerschaft sind noch in Abklärung. Lediglich vereinzelte Medienmitteilungen des Bundesrates geben einen kleinen Einblick in die konkreten Umsetzungen dieser Partnerschaften. So wurde zum Beispiel in Zusammenhang mit der Migrationspartnerschaft ein Pilotprojekt zur Polizeizusammenarbeit lanciert, das Stage-Einsätze von nigerianischen Polizeibeamten in der Schweiz ermöglichte. Zudem wird die Migrationspartnerschaft zwischen der Schweiz und Nigeria insbesondere im Hinblick auf die  zusammen mit der Firma Nestlé realisierten „innovativen Migrationsprojekte“ gelobt. In einem Bericht des Bundesrates vom 2. Juli 2014 heisst es: „Als Beispiel sei die Zusammenarbeit zwischen dem BFM [heutiges Staatssekretariat für Migration] und Nestlé genannt. Dabei handelt es sich um eine öffentlich-private Partnerschaft, welche die fachliche Ausbildung von dreizehn jungen Menschen aus Nigeria unterstützt. Die fünf besten durften im Sommer 2013 ein Praktikum in der Schweiz absolvieren.“ Im Vergleich mit den Ausschaffungen ist es eine absurde Zahl, mit der hier die Migrationspartnerschaft in Zusammenarbeit mit Nestlé zu legitimieren versucht wird.

Nestlés Profit mit dem Wasser

Nigerias Wasserressourcen sind knapp: Durch den Klimawandel verursachte Dürren führen zu immer weniger fruchtbarem Boden. Die Folgen dieser Entwicklung sind vermehrte Konflikte um die übriggebliebenen Flächen und Migration aus ländlichen Regionen in Städte mit oft unzureichender Infrastruktur und Arbeit.
Von genau dieser Wasserknappheit profitiert Nestlé. Seit Jahren kauft der Schweizer Konzern in Nigeria Wasserrechte auf. Durch die Produktion des unter dem Namen „Pure Life“ verkauften Flaschenwassers würden Arbeitsplätze geschaffen und der Zugang zu sauberem Trinkwasser ermöglicht, heisst es in der offiziellen Erklärung. Jedoch klammern diese Darstellungen aus, dass die meisten Menschen in Nigeria sich das in Plastikflaschen verkaufte Wasser gar nicht leisten können. Durch die Privatisierung von Wasserrechten wird also dem grössten Teil der Bevölkerung der Zugang zu sauberem Wasser nicht erleichtert, sondern vielmehr verwehrt. Auf die Vorwürfe der profitgesteuerten Wasserproduktion angesprochen, meint Peter Brabeck-Letmathe, ehemaliger CEO und aktueller Präsident des Verwaltungsrates von Nestlé: „Wasser ist ein Lebensmittel. So wie jedes andere Lebensmittel sollte das einen Marktwert haben. Ich persönlich glaube, es ist besser, man gibt einem Lebensmittel einen Wert, sodass wir uns alle bewusst sind, dass das etwas kostet.“
Die Zusammenarbeit mit Nestlé, deren Privatisierung von Wasserrechten in Nigeria gut dokumentiert ist und die sämtliche existentiellen Realitäten nicht beachtet, als Exempel für den Erfolg einer Migrationspartnerschaft zu erwähnen, ist bezeichnend. Es ist ein Beispiel für die Doppelseitigkeit, mit Privilegien wie Reisefreiheit, Schutz und Berufsmöglichkeiten für eine kleine, ausgewählte Gruppe auf der einen und damit in Zusammenhang stehende verstärkte Repression gegenüber einer Mehrheit auf der anderen Seite. Die Migrationspartnerschaft zwischen der Schweiz und Nigeria institutionalisiert somit nicht nur eine unmenschliche Ausschaffungspraxis; vielmehr wird dadurch eine profitwirtschaftliche Logik unterstützt, die den Alltag des grössten Teiles der Bevölkerung prekarisiert und somit eine Ursache für Migration darstellt.

Ausschaffungslevels
Art. 28 der Zwangsanwendungsverordnung sieht folgende Vollzugsstufen vor:
Vollzugsstufe 1: Die rückzuführende Person hat einer selbstständigen Rückreise zugestimmt. Sie wird von der Polizei bis zum Flugzeug begleitet; die Rückreise erfolgt ohne Begleitung;
Vollzugsstufe 2: Die rückzuführende Person hat einer selbstständigen Rückreise nicht zugestimmt. Sie wird in der Regel durch zwei Polizistinnen oder Polizisten in Zivil begleitet. Sofern nötig, können Handfesseln eingesetzt werden;
Vollzugsstufe 3: Es ist zu erwarten, dass die rückzuführende Person körperlichen Widerstand leistet, der Transport mit einem Linienflug ist jedoch möglich. Die rückzuführende Person wird in der Regel von zwei Polizistinnen oder Polizisten in Zivil begleitet. Bei der Rückführung können Handfesseln und andere Fesselungsmittel sowie körperliche Gewalt eingesetzt werden;
Vollzugsstufe 4: Es ist zu erwarten, dass die rückzuführende Person starken körperlichen Widerstand leistet; für den Transport ist ein Sonderflug nötig. Jede rückzuführende Person wird von mindestens zwei Polizistinnen oder Polizisten begleitet. Es dürfen die gleichen Zwangsmittel eingesetzt werden wie bei der Vollzugsstufe 3.
Vollzugstufe 1 entspricht der umgangssprachlichen „selbstständigen Ausreise“, Vollzugsstufe 2 der „kontrollierten Rückführung“, Vollzugsstufe 3+4 dem „Sonderflug“.

Quelle
Dieser Text entstand nach der Begegnung mit der erwähnten Person im Ausschaffungsgefängnis. Wie es ihr heute geht, weiss die schreibende Person nicht: Jeglicher Kontakt ist nach der Ausschaffung abgebrochen.
Für Informationen zu Nestlés Wasserinvestitionen

Ankommen in der Migration. Ein Manifest.

Zu Pässen, Grenzen und Nationalstaaten

Die Geburt eines Menschen ist automatisch gebunden an eine Nationalität. Und an einen Pass. Oder eben nicht. Durch den Pass werden einem Rechte zugesprochen oder eben verwehrt.
Die Zahl der letzteren nimmt zu, solange es Staaten gibt, die weder Schutz noch
ausreichende Lebenschancen bieten können.
Trotz der politischen Marginalisierung und fehlenden Repräsentation im nationalstaatlichen Gefüge nehmen all jene Menschen ohne Pass, ohne Rechte, ohne Aufenthaltsbewilligung, sowie diejenigen, die zwar über eine Aufenthaltsbewilligung, jedoch nicht über die volle Möglichkeit politischer und sozialer Teilhabe verfügen, eine immer gewichtigere Rolle in politischen, medialen, kulturellen und sozialen Diskursen ein. Die Bilder der Katastrophe, die in diesen Diskursen rund um Flucht- und Migrationsbewegungen vermittelt werden, erinnern an jene verheerender Naturkatastrophen. Mit solchen Assoziationen wird ein Imaginationsraum eröffnet der zu einer Belagerungsmentalität führt, was grenzschützerische Massnahmen fordert und sie politisch legitimiert.
Der Kollaps des Wohlfahrtssystems und die Bedrohung des Staates, welche durch den sogenannten Massenansturm angekündigt werden, rechtfertigen die Einschränkungen der freien Bewegung derjenigen, die auf sie angewiesen sind. Sicherheit und Ordnung innerhalb dieser Systeme sind die Kriterien, um Freizügigkeit und Anspruch auf Freiheit einzuschränken. Wir sind der Meinung, dass diese Kriterien nicht ausreichen für die gegenwärtige Handhabung und den
Umgang mit Menschen in Not.
Der Nationalstaat, in seiner Definition von einheitlichem Staatsvolk und Staatsgewalt und durch Grenzlinien markiertem Staatsgebiet und Staatshoheit, befindet sich in einer Krise. Innerhalb von Staaten hält sich kein homogenes Staatsvolk mehr auf. Überstaatliche Institutionen übernehmen Aufgaben der westlichen Nationalstaaten. Mechanismen des Marktes lösen
administrative Steuerungen ab und die
Globalisierung hebt Grenzen auf.
Diese Veränderungen nehmen Einfluss auf territoriale Grenzen. Man nehme als Beispiel Europa; innerhalb lösen sich Grenzen auf, wobei sich die Aussengrenzen der EU verfestigen. Grenzen verschieben sich, von Linien werden sie zu Netzen. Grenzsituationen entstehen immer häufiger auch innerhalb von Staaten (Ausweiskontrollen in Städten, Bezug von Diensten wie Sim-Karten, Internet, Krankenhaus, Wohnung, Bibliotheken nur unter Vorweisung eines gültigen Ausweises, etc.)
Das Konzept von linearen Grenzen, Nationalstaaten und die damit einhergehende Handhabung von Sicherheit und Kontrolle sind schlussendlich ein temporäres Konstrukt, eine historische Entwicklung. Die Strukturierung und Organisation von Zugehörigkeiten, Aus- und Einschluss hat sich zu dem Gefüge entwickelt, wie wir es jetzt kennen, was bedeutet, dass es nur eine Möglichkeit unter vielen ist. Das Konstrukt befindet sich im stetigen Wandel und kann sich in der ferneren Zukunft auch komplett verändern. Alles, was ist, ist nur eine Möglichkeit davon, wie es sein könnte.
Wir möchten einen Gedanken aussprechen. Einen Vorschlag wagen. Eine Möglichkeit erwägen.

Wie wäre es, wenn Rechte, Möglichkeiten und Wert eines Menschen nicht an dessen Pass gebunden wären?

Wenn die im herkömmlichen Sinne verstandene Staatsbürgerschaft oder Mitgliedschaft in einer fest umgrenzten kulturellen, sozialen und politischen Gemeinschaft ersetzt würde durch eine Bürgerschaft sprich eine Zugehörigkeit im Sinne einer Beziehung.
Beziehung zum Ort, zu den Menschen und Geschehnissen um einen herum.

Abschied

Hiermit verabschieden wir uns von der Gastfreundschaft. Ihre Absicht war es, Gutes zu tun. Sie wollte als oberstes Gesetz der Menschheit den Fremden Unterkunft, Nahrung und Schutz bieten. Bildung und Austausch wollte sie mit sich bringen, für Gast und für Gastgeber. Es war nicht ihre Absicht, etwas zurück zu verlangen. Sondern den Wanderbewegungen der Menschheit ein Hilfsmittel zu Austausch und Weiterentwicklung zu bieten. Doch die Regulierung dieser Absichten hat zu Aus- und Einschluss
geführt. Zu Gesetzen und Machtverhältnissen. Ist der Fremde nun Gast oder Feind? Muss er beherbergt, empfangen oder kontrolliert und überwacht werden? Wer sich als Gast nicht an die Gesetze der Gastfreundschaft hält, läuft Gefahr, als Feind eingestuft zu werden. Gastfreundschaft impliziert immer Regeln und Hierarchien, indem sie Gast- und Gastgeber-Rollen und -Verhaltensweisen vorgibt.
Teils mehr, teils weniger hinterfragt wird dieses Machtgefälle im staatlichen Umgang mit Migration. Der Staat bestimmt, wer bleiben darf, weist Menschen an der Grenze ab und schafft sie mit Gewalt in ihr Heimatland zurück. Dieses Machtgefälle bleibt auch im Integrationsprozess bestehen. Die Gastfreundschaft erzwingt eine Anpassung, denn der Gast hat sich den Sitten des Gastgebers unterzuordnen. Auch wer sich der Willkommenskultur verschreibt, bleibt in diesen
Hierarchien hängen und zementiert anhand von Unterschieden kulturelle Stereotypen, anstatt sie zur Verhandlung zu stellen. Sie gibt vor, das Ankommen an einem Ort setze voraus, willkommen geheissen werden zu müssen. Der Begriff sowie die damit einhergehende Praxis sind an ein eindeutiges Rollenverhältnis geknüpft. Ankommende, Neulinge, Gäste – Gastgeber, Alteingesessene, Empfangende. Es wird gegeben und genommen. Die Verhältnisse sind an Erwartungen gebunden.
Die Gastfreundschaft ist die Regelung eines temporären Aufenthaltes. Der Gast hat wieder zu gehen. In Anbetracht der heutigen Umstände von Migration und Flucht wird die Gastfreundschaft der Realität nicht gerecht.
Verabschieden wir uns also von der Gastfreundschaft und der Willkommenskultur, denn sie erlauben uns nicht, einen Raum zu eröffnen, in dem gemeinsam neue Bedeutungen von kultureller Identität ausgemacht werden können.
Verabschieden wir uns als nächstes von der Integration. Als Werkzeug der Kontrolle und Regulierung, wer sich anzupassen hat und wie, und wer sich überhaupt anpassen kann, läuft das ganze Konzept auf eine Assimilationsforderung hinaus. Diese Forderung ist vor allem in der schweizerischen Integrationsdebatte sehr präsent. Verlangt wird Unterwerfung, toleriert wird wenig Andersheit. Die Integration ist einseitig, fordernd und beherrschend. Sie hatte niemals die Absicht, Vielheit zu fördern.

Adieu.

Das Manifest, ein Versuch. Ein Versuch um dem Dilemma, den Widersprüchen, den Grenzen aller Arten, der Wut sowie der Traurigkeit eine neue Ausgangslage zur Handlungsfähigkeit zu ermöglichen. Mit dem Manifest möchte ich meine erlebten und erlesenen Erfahrungen in etwas verpacken, das zum Nachdenken und Disskutieren einlädt. Das Manifest ist eine Momentaufnahme, ohne Anspruch auf Statik. Es soll weiterentwickelt und in seinem besten Moment zur Vision werden um weiter zu konkreten Handlungen zu führen.

/ Ankommenskulturen haben das Ziel, das Leben für alle lebenswerter zu gestalten.

/ Mit Ankommenskulturen lernen Menschen anzukommen, und ankommen zu lassen.

/ Ankommenskulturen ermöglichen jeder und jedem, anzukommen.
Ankommen ist ein Prozess von einem örtlichen Ankommen hin zu einem Sich-Wohlfühlen.
Unabhängig davon, wie lange dieser Prozess dauert.

/ Ankommenskulturen stehen für Selbstbestimmung, Selbstgestaltung und Verantwortung aller Beteiligten in diesem Prozess.

/ Ankommenskulturen bringen Situationen hervor, die Begegnungen entstehen lassen.
Daraus entstehen Beziehungen. Beziehungen zu Menschen, Orten, Geschehnissen und der Umwelt.

/ Diese Beziehungen bestimmen soziale, politische und kulturelle  Prozesse.

/ Mit Ankommenskulturen entsteht bedingungsloser Zugang zu Orientierung, Rechten, Bildung und Gesundheit. Dadurch wird selbstbestimmte Teilhabe ermöglicht.

/ Kultur steht für gemeinschaftliche Gewohnheiten.

/ KulturEN stehen für ortsabhängige Differenzen, aber auch für die jeweiligen individuellen Unterschiede.

/ Ankommenskulturen ermöglichen eine Gesellschaft, die für die Gesamtheit aller Vielheiten steht.
Eine Gesellschaft aus mehreren Kulturen zusammengesetzt, die viele kulturelle Eigenheiten teilen.

/ Ankommenskulturen bedeuten ein Zusammenleben, welches nicht territorial bestimmt ist.

/ Ankommenskulturen fordern und fördern die Kommunikation und die gleichrangige Koexistenz aller beteiligten gesellschaftlichen Kräfte.

/Ankommen bedeutet von- und miteinander lernen. In gegenseitigem Respekt.

Staatliche Gewalt im demokratischen Gewand

In der Schweiz werden tausende Menschen in Ausschaffungshaft gefangen gehalten.1  Bis zu 18 Monate bleiben die Betroffenen im Gefängnis. Im Vergleich zum Strafvollzug beruht die Ausschaffungshaft nicht auf einem strafrechtlichen Tatbestand, sondern bloss auf dem Verdacht, dass sich eine Person der Wegweisung entziehen könnte. Das Migrationsamt kann die Haft aber nicht einfach über eine Person verhängen, sondern muss dies im Sinne einer demokratischen Gewaltentrennung vom Gericht für Zwangsmassnahmen absegnen lassen. In der Praxis folgen die Gerichte praktisch immer den Haftanträgen des Migrationsamtes, das diese alle drei Monate erneuern muss. Eine Analyse dieser Prozesse zeigt, wie Gesetz und Gerichtspraxis die Verhängung der entwürdigenden und psychisch zerstörerischen Ausschaffungshaft demokratisch und juristisch legitimieren.

Begründungen für die Ausschaffungshaft

Das Gesetz ist so formuliert, dass die Gerichte ein enorm grosses Spektrum an Möglichkeiten erhalten, um die vom Migrationsamt verordnete Ausschaffungshaft zu legitimieren:

  • Um Ausschaffungshaft zu verhängen reicht es, wenn die Person in irgendeinem protokollierten Gespräch erwähnte, dass sie gerne in der Schweiz bleiben möchte, oder dass sie nicht in ihr Heimatland zurückkehren will.
  • Im Urteil wird meist darauf hingewiesen, dass sich die betroffene Person bis anhin in keiner Weise an behördliche Anordnungen gehalten habe. Dazu reicht es, der Anordnung, das Land zu verlassen, nicht Folge geleistet zu haben.
  • Gegen die inhaftierte Person wird verwendet, dass sie keinen Pass auf sich hat. Da die meisten Geflüchteten entweder keinen Pass besitzen, ihn verloren oder irgendwo versteckt haben, damit er ihnen nicht abgenommen wird, kann dieses Argument fast immer angeführt werden.
  • Es wird von den Gefangenen erwartet, dass sie bei der Beschaffung des Reisepasses behilflich sind, da die Wegweisung so viel leichter vollzogen werden kann. Die Person habe nichts unternommen um bei der Papierbeschaffung mitzuwirken, heisst es dann im Urteil zur Haftverlängerung. Dass dies aus dem Gefängnis heraus äusserst schwierig ist, wird dabei nicht beachtet. Ausserdem hilft wohl niemand den Behörden freiwillig, die eigene Zwangsausschaffung durchzusetzen.
  • Die Ausschaffungshaft muss, wenn keine Wegweisung vollzogen wurde, alle drei Monate vom Gericht erneut bestätigt werden. Dies kann so oft geschehen, bis das Maximum von 18 Monaten Gefängnis erreicht wurde, was bei Personen, deren Heimatländer nicht mit der Schweiz kooperieren, oft vorkommt.

Vorgaben an das Migrationsamt

Auch das Migrationsamt hat gewisse Vorgaben, deren Missachtung die Haft unzulässig machen. Allerdings gibt es auch hier einen grossen Spielraum für die Gerichte, der gerne genutzt wird, um die Einhaltung dieser Vorgaben zu bestätigen:

  • Der Vollzug einer Wegweisung muss innert nützlicher Frist absehbar sein. Dabei geht es aber nur darum, ob das Migrationsamt selbst die Wegweisung vollziehen würde. Scheitert die Wegweisung daran, dass das Zielland keine Einreisebewilligung ausstellt oder daran, dass die inhaftierte Person keinen Pass besitzt, dann ist das die Schuld der inhaftierten Person oder deren Heimatlandes und die Haft somit gerechtfertigt. Die Praxis zeigt, dass zum Beispiel bei nordafrikanischen Staaten Wegweisungen nur äusserst selten vollzogen werden können und wenn, dann erst nach vielen Monaten Haft. Für die Gerichte ist dies aber kein Grund anzunehmen, dass die Wegweisung nicht innert nützlicher Frist vollzogen werden kann.
  • Bleibt das Migrationsamt bei einer Wegweisung länger als zwei Monate untätig, muss die inhaftierte Person entlassen werden. Deshalb schickt es alle zwei Monate die gesammelten Anfragen aller Personen eines Landes an dessen Botschaft, um die Einreisepapiere zu erhalten. Diese allgemeine Anfrage reicht den Gerichten als Bestätigung, dass das Migrationsamt in jedem Einzelfall tätig ist, und somit als Begründung die Haft aufrecht zu erhalten, auch wenn die Botschaften auf die Anfragen nicht reagieren.

Die Gerichtsverhandlung zur Bestätigung der Haftverlängerung

Bässlergut - Tear It Down!

Für jede Anordnung oder Verlängerung der Ausschaffungshaft um drei Monate wird eine Gerichtsverhandlung durchgeführt, durch die die Zulässigkeit der Haft überprüft werden soll. In der Gerichtsverhandlung wird die inhaftierte Person zuerst befragt. Der*die Richter*in stellt der inhaftierten Person Fangfragen, um ihr Aussagen zu entlocken, die den Verdacht auf Untertauchen rechtfertigen. Zum Beispiel, ob die Person denn gerne in der Schweiz bleiben möchte. Ein unverfängliches „Ja, es gefällt mir hier“, reicht für drei Monate Gefängnis.
Falls die inhaftierte Person kein Deutsch kann, wird die Verhandlung von einer/m Dolmetscher*in übersetzt. Allerdings erfolgt die Übersetzung nicht unbedingt in die Muttersprache der Person, sondern in einer Sprache, von der angenommen wird, dass sie verstanden werde. Wenn eine arabisch sprechende Person also auch ein wenig Französisch spricht, kann dies Französisch sein. Es ist den beteiligten Behörden egal, wenn die Person den juristischen Wortschatz und die Gesetzestexte in dieser Sprache nicht verstehen kann.
Obwohl die Inhaftierten eigentlich Anspruch auf eine*n Anwalt*Anwältin hätten, wird dies kaum je gewährleistet. Die meisten Verhandlungen finden ohne Rechtsvertretung statt, wobei die Betroffenen die Gerichtssprache kaum verstehen und über die Gesetzeslage in völliger Unkenntnis sind. Für den Raum Basel gibt es nur eine  einzige teilzeitangestellte Person einer Beratungsstelle, die für die Rechtsberatung aller Betroffenen zuständig ist.

Scheindemokratisches Schauspiel

So wird ein komplexer Apparat juristischer und demokratischer Instrumente eingesetzt, um die gewaltsame Inhaftierung und Ausschaffung tausender Menschen zu legitimieren. Die Schweiz leistet sich diese Gefängnisse, Gerichte und Prozesse, um eine rassistische und fremdenfeindliche Praxis scheindemokratisch zu rechtfertigen. Die vielschichtige Bürokratie nimmt die Verantwortung von Einzelpersonen weg und übergibt sie bürokratischen Scheinprozessen, nach denen jede Person, die Teil davon ist, die Verantwortung von sich weisen kann.
Neben der Inhaftierung zur tatsächlichen Vorbereitung einer Zwangsausschaffung hat dieses ganze Schauspiel eine weitere, mindestens ebenso wichtige Funktion. Die Ausschaffungshaft dient auch dazu, die Inhaftierten zu zermürben und potentiell von einer Inhaftierung Betroffene abzuschrecken. In viele Länder kann die Schweiz keine Zwangsausschaffungen durchführen, deshalb werden Migrant*innen monatelang eingesperrt und so lange zermürbt, bis sie lieber „freiwillig“ in ihr Heimatland zurückkehren, als noch länger im Schweizer Gefängnis zu sitzen ohne zu verstehen weshalb. Oft hört man den Satz, „hier in der Schweiz ist es ja noch schlimmer als in meinem Land.“ Genau das ist es, was die Behörden erreichen wollen. Neben der menschenverachtenden Einsperrung als solche trägt auch die Vorführung der staatlichen Macht in den beschriebenen Scheinprozessen zu der Zermürbung bei. Schliesslich ist das ganze juristisch-demokratische Schauspiel auch notwendig, um eine solche Strategie und das Wegsperren von Unerwünschten innerhalb eines sogenannt westlichen Wertesystems zu etablieren.

Für die Inhaftierten muss es sich anfühlen wie in einem Kafka-Roman. Sie werden von einem gewaltigen bürokratischen Komplex, in dem jede*r seine Funktion wie selbstverständlich ausführt, mal befragt, mal angehört und egal was man sagt, schliesslich immer wieder erneut zu dreimonatiger Haft verurteilt, ohne verstehen zu können, wofür  – und ohne Möglichkeit, die vorprogrammierte Haftverlängerung irgendwie abwenden zu können.


Wenn auch nicht als selbst Betroffene, lernte die schreibende Person die Ausschaffungsbürokratie im direkten Kontakt wie auch aus den Erfahrungen betroffener Personen kennen. Aufgrund dieser Erfahrungen glaubt sie nicht, dass es sich lohnt, auf juristischem Weg gegen Ausschaffungen zu kämpfen, denn die Abschiebemaschinerie und das Grenzregime müssen in ihrer Gesamtheit beseitigt werden. Dies beinhaltet auch die Gesetze, die sie legitimieren.

Weitere Drittstaat-Ausschaffung in Basel

Mitte November 2016 wurde ein junger Mann mittels eines Sonderflugs* nach Guinea  deportiert. Auf dem Flug befanden sich ungefähr zwanzig weitere Menschen, die nach Guinea und Gambia ausgeschafft wurden. Während des gesamten Fluges waren sie am ganzen Körper gefesselt und auf einen Rollstuhl fixiert. Begleitet wurden sie dabei von einer Entourage von über vierzig Personen: Polizist*innen; Mitarbeiter*innen des Migrationsamtes sowie Mitarbeiter*innen der Antifolterkomission.
Oumar lebte als illegalisierter Mensch jahrelang in der Schweiz und wurde bei einer Personenkontrolle festgenommen, da er keinen gültigen Ausweis vorweisen konnte. Während seiner Zeit im Knast hat Oumar sich mehrmals seiner Ausschaffung widersetzt. In seinem Heimatland drohen ihm Folter und eine weitere Inhaftierung. Zum Zeitpunkt der Ausschaffung befand sich Oumar – mit Unterbrüchen – seit über 17 Monaten in Ausschaffungshaft. Da die maximale Dauer dieser Haft in der Schweiz auf 18 Monate beschränkt ist, war dieser Ausschaffungsversuch für die Schweiz die letzte Chance, ihn auszuschaffen.

* Art. 28 der Zwangsanwendungsverordnung sieht folgende Vollzugsstufen vor:
Vollzugsstufe 4 (Level 4): Es ist zu erwarten, dass die rückzuführende Person starken körperlichen Widerstand leistet; für den Transport ist ein Sonderflug nötig. Jede rückzuführende Person wird von mindestens zwei Polizistinnen oder Polizisten begleitet.

Quelle

** 1. Die Vorbereitungs- und die Ausschaffungshaft nach den Artikeln 75-77 sowie die Durchsetzungshaft nach Artikel 78 dürfen zusammen die maximale Haftdauer von sechs Monaten nicht überschreiten.
2. Die maximale Haftdauer kann mit Zustimmung der kantonalen richterlichen Behörde um eine bestimmte Dauer, jedoch höchstens um zwölf Monate, für Minderjährige zwischen 15 und 18 Jahren um höchstens sechs Monate verlängert werden, wenn:

a. die betroffene Person nicht mit der zuständigen Behörde kooperiert;
b. sich die Übermittlung der für die Ausreise erforderlichen Unterlagen durch einen Staat, der kein Schengen-Staat ist, verzögert.

Quelle